Orit Nahmias

Orit Nahmias (Bild: © Esra Rotthoff)

Israela, Israelitin oder Jüdin?

Psychologisch lässt sich das ein wenig erklären: Noa (Orit Nahmias) und Amir (Youssef Sweid) hatten im politischen Pulverfass Israel einige Gründe, sich ihrer gegenseitigen Solidarität zu vergewissern, die nun im sicheren Berlin wegen der Konfliktfreiheit wegbricht. Jetzt haben sie genug Zeit, die Fehler des anderen zu entdecken und einen aus politischer Inaktivität entstanden Liebesüberdruss zu entwickeln. Die Darstellung privater Zerwürfnisse, sofern klischeeüberfrachtet, kann manchmal unglaublich die Nerven ankratzen, aber das verstrittene Paar entfaltet einen von Zynismen getragenen Sprachwitz, der den Wunsch nach Mehr aufsteigen lässt. Bemüht wie ein alles verstehender, uferlos toleranter Sozialarbeiter, gerät Stefan (Dimitrij Schaad) ins Lallen, als er Noa nach ihrer Herkunft befragt: Ist sie vielleicht eine Israelin, eine Israela, eine Israelitin oder vielleicht eine – Jüdin? Ein glänzender Auftritt, der noch überboten wird von Schaads Show als eine Art Gangsta-Rapper, mit einem Text, in dem sich derbe, sexistische und gewalttätige Formulierungen tummeln, um den braven Bürger zu schockieren. Schwächer allerdings ist die Offenbarung von Stefans Lebenslaufs, der im Kasachstan der sowjetischen Endphase beginnt, nicht in eine Glorifizierung des extrem gebieterischen Oberhäuptlings Nursultan Nasarbajew verfällt und in Berlin endet. Hier geschieht eine Vermischung von Schaads Biografie mit rein fiktiven Elementen, wie es in der (schöngeistigen) Literatur üblich ist. Eine reale Vorlage wird umgeformt und verfremdet, um sie ästhetisch zu verdichten und verfeinern. Leider kann von Ästhetik hier keine Rede sein: Das Bekenntnis ist ein außertheatralischer Monolog, der zusammenhanglos dasteht und in fataler Weise an die Kultivierung des handlungsunabhängigen, individuellen Auspackens anknüpft, die partiell im Schwange ist.

 

Aufweichung der Feindbilder

Yael Ronen, die ihr Ensemble auf einer gelben Treppe ‚installiert' hat, lässt auch den Syrier Hamoudi (Ayham Majid Agha) auftreten, der sich beim hypertroph-sozialen Sprachonkel einnistet und von seinen heroischen Erfahrungen als Schmuggler Bericht erstattet. Kontakte zur IS? Selbstverständlich, es war lebensgefährlich, man konnte am Tag mehrmals sterben, aber es war existenziell, sogar als unarrivierter Filmer im Hauptjob. Während Hamoudi vermutlich einiges vom Pferd erzählt, geht es bei Laila (Maryam Abu Khaled) und Karim (Karim Daoud) wesentlich ernsthafter zu, zumal sie sich als Palästinenser diskriminiert fühlten. Karim erzählt, wie er als Artist von Grenzsoldaten unter Waffengewalt gedemütigt wurde – und legt dabei einige akrobatische Kabinettstückchen hin. Nun, trotz all der religiösen Feindbilder kommt ausgerechnet im Deutschunterricht ein Annäherung zustande, weil Ronen eine weitere Forcierung der tief eingegrabenen Vorbehalte ablehnt, ohne ins ‚Kinder, habt euch doch lieb' abzugleiten. Ihr Theater ist diesmal ein engagiertes Deklamations- und Parliertheater, in dem wenig gespielt wird. Die Inszenierung, die wie ein Ausschnitt aus einer nie enden wollenden Debatte anmutet, erhält ihren Schwung durch schlagfertige Kommentare, espritreichen Sprachwitz und individuellen Legitimationswunsch. Ohne dieses ungewöhnliche Talent zur subtilen, facettenreichen Dialog-Unterhaltung wäre das Stück verloren gewesen. Dass Theater auf lebendigem Erleben und privat inspirierter Gestaltung beruht, hat Yael Ronen nun anschaulich gezeigt. Leider erreichen ihre versteckten und offenen Botschaften nicht die Gleichmütigen und Andersdenkenden, sondern nur ihre – ohnehin begeisterte – Klientel.

The Situation
von Yael Ronen & Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Tal Shacham, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Dimitrij Schaad. Ayham Majid Agha, Orit Nahmias, Yousef Sweid, Karim Daoud, Maryam Abu Khaled.

Gorki Theater Berlin

Uraufführung vom 4. September 2015
Dauer: 100 Minuten, keine Pause

 

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