Mutterliebe in Berlin

Mutterliebe in Berlin (Bild: © Esra Rotthoff)

Alleinerziehende Mamas wollen anders

Ähnlich wie bei Film-Blockbustern hat Sibylle Berg eine Fortsetzung ihres vor zwei Jahren im Gorki inszenierten Erfolgsdramas "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen" geschrieben. Die Besetzung (Suna Gürler, Rahel Jankowski und Cynthia Micas) hat sich nicht verändert, nur Nora Abdel-Maksoud wurde vom Neuzugang Çiğdem Teke ersetzt. Bergs Schreibweise und Duktus huldigen einer erstaunlichen Kontinuität, sie scheint das niederzuschreiben, was augenblicklichen Impulsen und Eingebungen entspringt, ohne den Text in irgendeiner Form zu strukturieren. Auch wenn manche Zuschauer vielleicht intellektuell unterfordert sein mögen: Immerhin gelingen der Autorin treffende, gelungene Formulierungen, die mit mehr Präzision geschrieben wurden als gewisse gebremst provokative, finanziell einträgliche und die Publikationsreputation festigende Nebenarbeiten. Das Stück hat keine Handlung und auch keine figurenentfaltende Persönlichkeitsentwicklung, bestenfalls eine behauptete. Hier agieren vier Frauen, die effektvoll, aber nicht akribisch gleichzeitig im Chor sprechen und praktisch einer Frau die Stimme verleihen, hinzu kommen vier Kinder, die ein als fast exemplarisch ausgegebenes Kind repräsentieren. Der Regisseur Nübling macht es wie vor zwei Jahren, er lässt zusammen mit der Choreographin Tabea Martin die weiblichen Figuren tänzeln und lebhaft gestikulieren – die Arme sind in ständiger Bewegung -, und die aufbegehrenden Kinder kopieren die mütterlichen Vorlagen. Zumindest schön ist's anzusehen.

 

Wunsch nach normalen, funktionierenden Eltern

Dass der pränatal als süß empfundene Spross Mirna hinzukommt, ist eigentlich Neuentwicklung und künstlerische Wertsteigerung des Stücks. Erinnerte die erste halbe Stunde noch stark an das aufsehenerregende, noch vertretbare Pilotprojekt, so ist die Fortsetzung mit Kindern beinahe als Halbcoup zu bezeichnen. Die Kinder liefern den Konterpart von Müttern, die früher nur "das durchschnittliche Gefühl hatten, undurchschnittlich zu sein." Den Kindern verlangt trotz aller hochstrebender pädagogischen Bemühungen nach dem Mittelmaß, sie wollen zwei Eltern, da eine alleinerziehende Mutter das erwartete Geborgenheitsgefühl nicht leisten kann. Sie verlangen sogar, wie reaktionär, nach Religion – und nach ganz "normalen, funktionierenden Eltern". Doch die entgeisterten Mamas wollen keinen Mann nur fürs Kind, ohne jegliche Liebe. Was sie eigentlich wirklich wollen, wird zwischen dem Balanceakt von Versorgungsaufgabe und Selbstentfaltungswunsch nie ganz deutlich. Was den Hedonismus anbelangt, ist man im Rückblick ziemlich konventionell und traditionsbelastet: "Wie waren weder ausreichend verliebt oder betrunken, um der körperlichen Vereinigung die Peinlichkeit zu nehmen." Besonders selbstbefreit und visionär klingt das nicht, für die Zukunft ist außer Absichtserklärungen wohl nicht viel zu erwarten. Kurz: Jene, die die Lösung von Klischees ins Visier nehmen, geraten aufgrund kleinfamiliäre Zwänge und Engpässe selbst in die Klischeefalle. Mamas, die sich als reflektierte Freigeister wähnen, sinken herab zu Spießerallüren, wenn das eigene Kind jene Mails liest, die nachts im alkoholisierten Zustand geschrieben wurden. Viel mehr als eine vorläufige spruchgewaltige Bestandsaufnahme liefert das Drama nicht. Bei mehr Unklarheiten: Fragen sie Frau Sibylle. Sebastian Nübling hat aus dem in alle Richtungen sprießenden Sprach(-witz)sortiment darstellerisch noch das Beste herausgeholt.

Und dann kam Mirna
von Sibylle Berg
Regie: Sebastian Nübling, Choreographie: Tabea Martin, Bühne: Moïra Gilliéron, Magda Willi, Kostüme: Ursula Leuenberger, Licht: Jan Langebartels, Dramaturgie: Katja Hagedorn.
Mit: Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas, Çiğdem Teke.

Kinder: Aydanur Gürkan, Fée Mühlemann, Zoé Rügen, Annika Weitzendorf sowie Sarah Böcker, Nilu Kellner, Amba Peduto, Marie Carlota Schmidt.

Gorki Theater Berlin

Uraufführung vom 24. September 2015
Dauer: 80 Minuten.

 

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