© Esra Rotthoff

 

Aufgabe der Kommunikation

In dieser Inszenierung haben die heterosexuellen Zuschauer*innen endlich Gelegenheit, sich als Außenseiter zu fühlen. Die meisten der Bühnenakteur*innen sind Homosexuelle, etwa Çiğdem (Teke). Sie ist eine muslimische Lesbe mit Partnerin und Kind, die das Ausleben ihrer originären Leidenschaft genießt, aber insgeheim leichte Verratsgefühle mit sich rumschleppt. Alle sind sie Verräter, bei den Linken sind es die Rechten - und umgekehrt. Zum Glück bringt der emsige Monolog-Fetischist Richter - der provozieren will, aber es nicht schafft - nicht noch den Hochverrat ins Spiel. Die meisten Verratsgefühle sind aufgepumpte Seifenblasen, als hätten verschiedene Luther-Clubs der germanischen Abteilung das schlechte Gewissen eingeimpft. Richter scheint zu versuchen, diese innere Instanz im Falles des Verlustes den Leuten wieder einzupflanzen, damit jene, die in des Regisseurs Reichweite geraten, zum besseren Handeln aktiviert werden. Aber wie soll das funktionieren, wenn Richter auf Dialoge verzichtet und alle zu Einzelkämpfern werden? Wer die Kommunikation verabschiedet, kennzeichnet eine Endphase, als würde bald das Licht ausgehen und einem apokalyptischen Zeitalter Platz machen. Mehmet (Ateşçi) ist während des Militärputsches in Istanbul mit seinem deutschten Partner zusammen und verweigert das zutrauliche Händchenhalten, um das "Verbotene" vor seinen türkischen Bekannten zu verbergen. Clever, dieser Mann, der aus Überlebensgründen handelt, lange Erklärungen vermeidet und eine mögliche Denunziation im Keim erstickt. Aber was macht Richter daraus? Einen Verrat an der Liebe.

 

Menetekel des drohenden Untergangs

Bei einer solchen Veranstaltung dürfen auch die "richtigen" Rechten nicht fehlen. Besonders krass wird es, als Daniel Lommatzsch auftritt und eine Feuerrede gegen linke Verräter und für die alte patriarchalische Ordnung hält. Umgeben von schwarzen Dreckhaufen und umgekippten Möbeln geistern einige Underdog-Militärs über die Bühne, etwas zwischen privater GSG9, Freikorps oder im Wald trainierender Wehrsportgruppe. Männervorherrschaft statt Feminismus, Heimatmythos gegen Kosmpolitismus – Richter kippt eine Überfülle von ultrarechtem Kitsch und Plattitüden und Stereotypen aus, die so plump aufgetragen werden, dass sie nicht mehr zu einer Gegnerschaft aufstacheln können, die ohnehin vorhanden ist. Selbstverständlich sind auch Akteure der Weltpolitik vertreten, selbstverständlich die Hochaktuellen der Nachrichten-Industrie, also Putin, Erdoğan und Trump. Letzterer ist vielleicht ein konservativer Hardliner, dem die politische Übersicht abgeht, aber noch längst kein Faschist. Auch hier wird er zum karikierten Spielball, der mit Video-Unterstützung in die Nähe eines Gorillas gerückt wird, quasi als Menetekel des drohenden Untergangs. Im Grunde ist das Ensemble ein Konglomerat von Unentschlossenen, das nur weiß, dass irgendwas getan werden muss. Richter versucht den Balanceakt zwischen Satiriker, plakativem Meister und tiefsinnigem Entlarver. Aber alles, was er aufdeckt, ist längst bekannt. Es wäre besser gewesen, er hätte mit unnötigen Schuldgefühlen und deplatziertem schlechten Gewissen aufgeräumt. Stattdessen greift er gern in die Moderkiste, wo besonders die Religionen ohne Unterlass mit ihren Fühlhörnern gierig hineingreifen.

Verräter – Die letzten Tage
von Falk Richter
Regie: Falk Richter, Bühne und Kostüme: Katrin Hoffmann, Musik: Nils Ostendorf, Live-Musiker: David Riano Molina, Video: Aliocha van der Avoort, Dramaturgie: Jens Hillje.
Mit: Mareike Beykirch, Çiğdem Teke, Mehmet Ateşçi, Orit Nahmias, Knut Berger, Daniel Lommatzsch.

Gorki Theater Berlin, Premiere vom 28. April 2017
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

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