Das Ensemble

© Esra Rotthoff

 

Eine Auwahl seltsamer Stationen

Der Ausblick vom Hotel-Balkon auf die etwas rohe Veranstaltung ist vorzüglich. Anhand der simplen Parolen der Pegida-Schilder können die Reisenden ihr karges Deutsch aufbessern. Bei manchen Sprüchen blickt man in verwunderte Gesichter: "Was, Merkel muss weg? Und warum steht da Fatima Merkel?" Oder "Deutschland den Deutschen? Sind das etwa keine Deutschen?" und ähnliches mehr. Man merkt's schnell, bei Yael Ronens Dialogen geht es heiter-lustig zu, sie spielt ihr unzeifelhaftes Talent für spritzige, schlagfertige Rededuelle und Wortwitz wieder voll aus. Maryam Abu Khaled beispielsweise ist auf der Suche nach einem geeigneten Partner. Wie durch Zufall klickt sie eine Sex-App an, und sofort erfährt sie, wie es sich bei den Deutschen mit der Erotik verhält. Vor lauter Ehe, Promiskuität, Homosexualtität und anderen Formen der Ausübung des partnerschaftlichen Geschäfts wird ihr ganz schwindlig. Ständig breiten sich im Parkett Lachsalven aus, wie bei allen gespielten, interaktiven Szenen. Der Reiseführer Niels Bormann, Hüter der Ordnungsprinzipien und leicht verspießt, ist zunächst kühl-distanziert und verwendet einen schwarz angehauchten Humor, versucht dann aber, sich der Gruppe zu öffnen und menschliche Züge zu offenbaren. Überhaupt ist die ganze Reise dazu angetan, scheinbar zementierte Eigenheiten der Deutschen zu parodieren.

 

Zwischen Lachen und Nachdenklichkeit

Anders verhält es sich, wenn Teilnehmer des im November 2016 gegründeten Exil Ensembles ihre privaten Fluchtgeschichten erzählen. Dieses Erzählmittel ist den Gorki-Besucher*innen mittlerweile vertraut, wahrscheinlich auch von anderen Theatern. Bei Schilderungen des eigenen, oft grausigen Schicksals wird plötzlich umgeschaltet zu Ernsthaftigkeit, Konzentration und Stille. Und man kennt sie leider schon, diese Geschichten, aus Berichten, Zeitungen und eben aus dem Theater. Trotz allen Migefühls, das bei den dramatischen Entrinnungsversuchen automatisch aufkommt, etwa bei Hussein Al Shathelis schaurigem "Rückzug" über die Türkei, Griechenland und schließlich Zürich oder bei der mit einem Pony versehenen Kenda Hmeidan, die sich wie im Niemandsland fühlt: Trotz allen Mitgefühls sind das letztlich retardierende Elemente, die den Handlungsverlauf, also die Bustour wie hinzugepflanzte erratische Blöcke unterbrechen. Die Zuschauer*innen werden zum Lachen gereizt, dann wieder zur Nachdenklichkeit aufgerufen. Und so steigt eine halbe Stunde vor Schluss der Wunsch auf, das Unternehmen möge nun aufhören. Nicht etwa, weil es schlecht gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Es war gerade besonders gut – und konnte nur noch schlechter werden. Und genau das geschieht, auf eine köstliche gespielte Szene folgen wieder zwei kalte Blicke auf die Vergangenheit – und auch auf das Jetzt. Eine vehemente Abflachung, gebremster Schaum, alle Spiellaune unterbrechend. Letztlich betreibt Ronen eine Vermischung von verspaßtem Furor und sentimentgesteuerter Vergangenheitsbewältigung. Dabei ist eine hervorragende Hintergundkulisse entstanden, Videos mit stimmungsvollen Bildern und Landschaften, die dem Wetter ausgeliefert sind. Trotz des fragwürdigen cocktailartigen Verschnittes ist ein immer noch interessanter Abend herausgekommen. Dem Exil Ensemble kann man nur das Beste wünschen.

Winterreise
von Exil Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Sophie du Vinage, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Video: Benjamin Krieg, Zeichnungen: Esra Rotthoff, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Es spielen: Kenda Hmeidan, Maryam Abu Khaled, Hussein Al Shatheli, Niels Bormann, Karim Daoud, Mazen Aljubbeh, Ayham Majid Agha.

Gorki Theater Berlin, Uraufführung vom 8. April 2017
Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause

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