Kalt und dunkel ist's in Berlin

Kalt und dunkel ist's in Berlin (Bild: © Esra Rotthoff)

Unwitzige Witze

Wera (Ilknur Bahadir) wird von ihrer Tochter Nadeshda (Anastasia Gubareva) als die schönste Frau der Welt angekündigt. Optisch trifft das wohl kaum zu, und auch bei der sogenannten inneren Schönheit hapert es. Goethes ‚schöne Seele", in Wilhelm Meisters Lehrjahre eingeführt, ist hier nur ein imaginäres ätherisches Luftwesen. Schließlich ist Wera eine recht verkrachte Existenz, die sich stets mit ihrer renitenten, bockigen Tochter abgeben muss. Die hat ihr Kind abgetrieben und nennt es nachträglich Ljubov, die im Geist der Mama weiterlebt und auch tatsächlich existiert als eine von Dimitrij Schaad verkörperte Bühnenfigur. Der läuft in einer Art Strampelanzug für Erwachsene herum und erzählt unwitzige Witze, die immer geschmackloser werden und offensiv diskriminieren. Das anfangs noch lachende Publikum wird stumm und weiß nicht, wie es diese Schockeffekte einordnen soll. Ohnehin ist das dramatische Grundgerüst sehr dünn, und was da auf der Bühne verhandelt wird, sind relativ harmlose Streitereien ohne Schwerpunkt.

 

Ein fader Geschmack

Normalerweise funktionieren derartige Stücke durch Klamauk, versteckten Humor und bissige Sarkasmen. Aber die zynischen Bemerkungen bleiben als Waffe irgendwie stumpf, und da nützt es auch nichts, dass derbe, sexuell aufgeladene Sprüche eingebaut werden, etwa: "Du bekommst sowieso keinen mehr hoch". Der Gebrauch der Brechstange will hier nicht recht klappen. Die Geschichte wirkt wie ein Ausschnitt aus einer x-beliebigen Migrantenfamilie, die sich unter Bewahrung ihrer (jüdisch-russischen) Identität in den Strom des Daseins einreihen möchte. Garniert wird das Ganze durch einen geschichtsbeladenen, aufbrausenden Lustgreis ( Tim Porath als Konstantin) und den deutsch-amerikanischen John (Taner Şahintürk), der es gleichzeitig mit Wera und Nadeshda treibt, ohne zu wissen, dass es sich um Mutter und Tochter handelt. John repräsentiert die polygamische Freizügigkeit des Westens und verströmt eine Leichtigkeit des Seins, die sich als indifferente Lebenslust geriert. Marianna Salzmann wirft viele Zutaten in den Dramentopf, beispielsweise auch den muslimischen Imran (Mehmet Yilmaz), der von Neonazis überfallen wird. All diese Ingredienzien ergeben aber einen faden Geschmack, vergleichbar mit den weihnachtlichen Knödel am Ende, die ohne Gans (oder Hase) verzehrt, besser: reingedrückt werden. Format und Machart des entdramatisierten Dramas hinterlassen den Eindruck, als würde es viel besser ins Ballhaus Naunynstraße passen. Marianna Salzmann hat ihr Stück mit Handlungssträngen vollgepumpt, die teilweise redundant sind und der puren Unterhaltung dienen, ohne, von den üblichen Problemen abgesehen, an die existentielle Schmerzgrenze zu gehen. Menschen mit besonderer Erlebnistiefe haben es schwer mit dieser Inszenierung.

Wir Zöpfe (Uraufführung)
von Marianna Salzmann
Regie: Babett Grube, Bühne: Léa Dietrich, Kostüme: Daniela Selig, Dramaturgie: Aljoscha Begrich, Musik: Clemens Mädge, Licht: Jan Langebartels.
Mit: Taner Şahintürk, Dimitrij Schaad, İlknur Bahadır, Anastasia Gubareva, Mehmet Yılmaz, Tim Porath, Mehmet Ateşçi.

Gorki Theater Berlin

Uraufführung vom 4. Februar 2015
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

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