Die Urschuld, keine Unschuld des Werdens

In dieser Inszenierung gibt es keine Unschuld des Werdens wie bei Nietzsche. Woyzeck, der Gezeichnete, wird so dargestellt, als trage er a priori eine Schuld mit sich herum, die irgendwann in einer Tat verwirklicht werden muss. Der Hauptdarsteller Till Wonka tritt auf im Heavy-Metal-Look mit langer Mähne und einer panzerartigen abrasierten Brust, die nach viel Flachbankdrücken aussieht. Wenn das Training aus Gesundheitsgründen abgebrochen wird, droht ein sackartiges Herabfallen der Thorax, also eine Art Hängebusen. Ähnlich sein Kollege Tamer Arslan, nur dass der eine Rockerfrisur trägt, die an das Äußere eines Hopi- Indianers gemahnt. Dabei ist Woyzeck keine Kraftnatur, sondern ein Getriebener, ja ein Weichling – was um Himmels Willen mag sich der Regisseur Borscht da gedacht haben? Im Übrigen erinnert sein Regiestil stark an Robert Borgmann, der letzte Saison im Gorki eine sehr eigenwillige und bilderreiche und abenteuerliche Version von "Macbeth" inszeniert hat.

 

Etwas künstlich Zusammengesetztes

Die Bühne (Christian Beck) ist eine höhlen- und höllenartige Wohnstätte mit einem bisschen Luxus-Ambiente, davon zeugen die grün-metallisch gleißenden säulenähnlichen Gebilde, die bis zur Decke aufragen, als wollten sie vor lauter Übermut wie der babylonische Turm in den Himmel reichen. Auf der Leinwand sind Figuren zu sehen wie bei archaischen Höhlenmalereien, die längst nicht die Qualität vom Maler A.R. Penck erreichen. Sie dienen zur Verdichtung der Atmosphäre, zu der auch die Klavierspielerin Friederike Bernhardt einiges beiträgt, genauso wie die Nebelschwaden, die die gesamte Bühne teilweise zu einem undurchdringlichen Dickicht machen. Eine Urschuld scheint hier zu walten, die Inszenierung ist eine einzige Ursuppe, die wild zusammengerührt ist, als hätten zu viele Köche den ohnehin unsaftigen Brei verdorben. Herausgekommen ist etwas Gemachtes, etwas künstlich Zusammengesetztes, ein Artefakt. Ein artifizielles Donnerwetter, das irgendwann strandet.

 

Paranoide Schizophrenie befällt Woyzeck

Georg Büchner

© Wikimedia

 

 

 

Dimitrij Schaad, übrigens ohne Rockermähne, hält einen längeren Monolog über die griechischen Götter, über das Vorbewusstsein, das Unterbewusstsein und das Bewusstsein. Ein erratischer Block in der Landschaft, der allerdings auch ins Theater gehört. Nun handelt es sich bei Woyzeck um einen Menschen, der vor allem vom Unterbewusstein geprägt ist, in einem solchen Grad, dass sich das Tierische Bahn bricht. Eifersuchtsqualen und Rachgelüste – hat die Marie nicht immer ihm gehört, hat er nicht von ihr Besitz ergriffen? Er hört Stimmen, die ihm den Befehl zum Mord an der einst Geliebten eingeben. Das sind leider keine griechischen Rachegötter, kein Ares, der ihm etwas ins Ohr flüstert, von ewigen Dingen flüstert – es ist das Anzeichen einer paranoiden Schizophrenie. Und Marie? Mareike Beykirch, die sich heftig ins Zeug legt, spielt eine Frau, die schnell ins Animalische abgleitet und verführbar ist. Da ist keine biedermeierliche trockene Süße, da regiert eher das süße leichte Leben – mit verhängnisvollem Ende. Eine Umarmung und quasi ein Messerstich in den Rücken. Die Schuld obsiegt.- Die letzten drei Inszenierungen im Gorki waren weitgehend gelungen, aber diesmal hapert es mächtig. Was soll's, das Premieren-Publikum war wie immer begeistert.

Woyzeck III
Magic Murder Mystery

frei nach Georg Büchner
von Mirko Borscht & Ensemble
Regie: Mirko Borscht, Bühne: Christian Beck, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Friederike Bernhardt, Video: Hannes Hesse, Dramaturgie: Holger Kuhla.
Mit: Till Wonka, Tamer Arslan, Friederike Bernhardt, Dimitrij Schaad, Falilou Seck, Mareike Beykirch.

Gorki Theater Berlin

Premiere vom 4. April 2014

Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

 

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