Ein sehr problematisches Grab umgeben von viel Grün....

Die Betonwüste des Berliner Alexanderplatzes legt sich aufs Gemüt : vielfach ist es nicht zu fassen, dass hier angeblich der bekannteste Platz Berlins liegt. Die Architektur der letzten Jahre brachte verschiedene Verschlimmbesserungen mit sich, so dass es in der Stadt unzählige schönere Orte gibt.

Kaum jemand weiß, dass es nur einiger Schritte bedarf, um der Betonwüste zu entkommen. Nur eine Kreuzung weiter befindet sich der historische Friedhof der Gemeinden St. Nikolai und St. Marien. Die Namen der Kirchen zeigen bereits, dass es sich hier um sehr bedeutende Begräbnisorte handeln muß, gehören doch beide Kirchen zu den ältesten Kirchen der Stadt.

Der Friedhof liegt auf einer kleinen Anhöhe, die häßlichen Plattenbauten lugen zwar hier und da durch das Grün, man befindet sich aber sonst in einer ruhigen Oase, in der man den Verkehr nur im Hintergrund wahrnimmt.

Zu den Berliner Persönkichkeiten, die hier begraben liegen, gehören der Maler Bernhard Rode (1725-1797), der ehemalige Berliner Bürgermeister von Forckenbeck (1821-1892), von Hinckeldey, ein Berliner Polizeipräsident im 19. Jahrhundert, der bei einem Duell umkam, der Architekt Eduard Knoblauch (1801-1865) und der Wäschereibetreiber Carl Spindler (1841-1902).

Ein anderes, verborgenes Grab bringt den Friedhof jedoch immer wieder gegen seinen Willen in die Schlagzeilen : hier ruht der Pfarrer Ludwig Wessel (gest. 1922) mit seinen Söhnen Werner und Horst. Ludwig Wessel war ein Theologe erzkonservativer und nationalistischer Ausprägung, der den 1. Weltkrieg begrüßte und nach 1918 die Republik strikt ablehnte. In dieser Umgebung wuchsen seine Söhne auf, die dann diesen Weg weiterführten. Zunächst betätigte man sich in konservativen Gesellschaften, z.B. dem Bismarck-Bund der DNVP. Über ihn fand Horst Wessel (geb. 1907) schnell den Weg zur Nazi-Bewegung, der er seit 1926 angehörte. Nach einem abgebrochenen Jura-Studium widmete er sich zunehmend seiner "Tätigkeit" in der SA, wo er schnell "Berühmtheit" erlangte. Zuletzt hatte er die "Aufgabe", das "rote" Friedrichshain für die Nazis zu erobern - die dabei genutzten Methoden sind bekannt.

Am 14.Januar 1930 wird er aber selbst zum Opfer eines Anschlages, Wessel verstirbt am 23.Februar 1930. Sofort nutzt Goebbels die Chance, ihn zum "Blutzeugen" der Nazi-Bewegung zu stilisieren. Sein Begräbnis am 1.März 1933 nimmt in seiner Aggressivität und dem aufgesetzten Heldenkult voraus, was dann nach 1933 massiv geschieht. Das Grab wurde fortan zu einer Kultstätte für Nazi-Pilger, die Nazis errichten hier 1933, acht Tage vor der "Machtergreifung", eine Gedenkstätte. Diese wird 1945 auf Beschluß der Alliierten entfernt. Es ist klar, dass sich in Zeiten der DDR niemand für das Grab interessierte, erst nach 1990 wird es von einzelnen Neo-Nazis zur Kultstätte deklariert.

Neuere Literatur über Wessel läßt uns über einen Menschen nachdenken, der mit 22 Jahren starb und nach seinem Tode von verschiedenen politischen Richtungen benutzt wurde : die Nazis machten ihn zum "Helden", die politisch andere Seite, die KPD, war jahrelang bemüht, ihn als Zuhälter und Berufsverbrecher darzustellen, da seine ehemalige Lebensgefährtin, eine Prostituierte, Mitauslöser des Anschlages auf ihn war. 

1931 fand - noch zu "Weimarer" Bedingungen - der erste Prozeß gegen seine Mörder statt, hohe Gefängnisstrafen wurden verhängt, besonders für Personen, die gar nicht direkt vor Ort waren, sondern die Täter nur "absicherten". Klar war, dass diese Art der Justiz den Nazis nicht reichte : 1934 schlagen sie "richtig" zu. Noch 1933 wurden zwei der Personen, die 1931 verurteilt wurden, "nach Art des Hauses" SA einfach ohne Gericht beseitigt, 1934 hielt man es dann schon mit Terrorurteilen gegen Unschuldige : zwei Personen, denen eine direkte Teilnahme an der Tat nicht nachzuweisen war, erhielten die Todesstrafe. Einer davon, Sally Epstein, war jüdischer Herkunft, was der Nazi-Propaganda gut passte. Ihm hat Heinz Knobloch mit seinem Buch "Der arme Epstein" ein würdiges Denkmal gesetzt. Die "Lebensleistung" des Horst Wessel berechtigt zu keinem Denkmal, aber zum Nachdenken regt seine Person sehr wohl an.

 

Friedhöfe am Alexanderplatz

Lage der Friedhöfe am Alexanderplatz

Führungen über Historische Friedhöfe Berlins

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