Buchcover

© DVA

 

Die weiten Reisen eines Bildes

Rothchild, seit langem in der englischen Kunstszene verankert, wartet intervallartig mit einem sprechenden Bild auf. Es ist ein erfundenes Bild vom Rokoko-Künstler Antoine Watteau, das "Die Launenhaftigkeit der" Liebe genannt wird. Das wie ein Mensch sinnierende Gemälde gibt süffisant und eitel sein Geschichte wieder, die aus prunkvollen Palästen besteht, in denen Könige, Adlige und überaus irdische Päpste redidierten. Das Bild sieht alles, was in sein Blickfeld gerät, und informiert den Leser über Handlungszusammenhänge, um etwaige Erzähllücken zu schließen – was leider nicht ohne Klischees abgeht. Watteaus Werk landet nach dem Abstieg in die Niederungen des Kleinbürgertums bei einem Trödelhändler, vergessen und missachtet. Die Köchin Annie erwirbt nichts ahnend das Bild, und bald treten nicht nur Kunstexperten auf den Plan und betreiben Provenienzforschung, nein, Supperreiche, Politiker, Museumsdirektoren reißen sich aus Reputations- und Image-Gründen um das Gemälde. Auch Spitzenpolitiker aus Frankreich und England sind hypermotiviert – und hier verliert die Autorin an Maß. Mit dem, was sich die Autorin hier einfallen lässt, wird das groß angelegte Gesellschaftspanorama zu einer Komination aus Entlarvungslust, Satire, Persiflage und Komödie. Und am Ende wird noch mitgeteilt, was aus allen wesentlichen Figuren geworden ist. Wann kommt die Verfilmung? Das Drehbuch ist schon geschrieben, es muss nur verschlankt werden.

 

Karikaturen in der Welt der Reichen

Ein Liebesgeschichte der, was die Intensität anbelangt, absoluten Art enthält das Buch auch noch. In die Watteau-Käuferin und Gourmet-Köchin verliebt sich der Künstler Jesse, der alles Mögliche und Unmögliche unternimmt, um die von den Winklemans abgesägte, in den Knast denunzierte und verleumdete Annie zu retten. Er schafft es, vermutlich weil er über ein wild pochendes Herz verfügt, das bei "Normalmenschen" wegen Überlastung wohl den Geist aufgegeben hätte. Immerhin, Rothchild lässt ihre einmal eingeführten Figuren nicht im Stich und verfolgt ihren Weg weiter. Ohne Zweifel, sie kann Charaktere entwerfen, die man quasi bildlich vor sich hat, sei es der homosexuelle kapitelstarke Barty, der sich öffentlich vornehmlich in femininen Kostümen zeigt und zur fulminanten Karikatur gerät, oder der russische Kapitalakkumulationsoligarch Wladi, der mit etwas beschränktem Horizont ausgestattet ist. Nur ist ihr das bei Tochter von Winkleman, Rebecca, ein wenig missraten. In der Figureneinführung im 4. Kapitel wird sie als eine Frau geschildert, die "krankhaft schüchtern" und davon überzeugt ist, "dass hinter jeder Ecke eine Katastrophe lauert". Im weiteren Verlauf erweist sie sich als resolute, rigorose Kunstwächterin, die ihren als Ex-Nazi entdeckten Vater biss aufs Messer verteidigt. Hannah Rothchild ist eine subtile Kennerin der aktuellen finanzkräftigen Kunstszene und scheint manchmal aus dem Nähkästchen zu plaudern. Wollen wir hoffen, dass ihr nicht das gleiche Schicksal blüht wie Truman Capote nach der Veröffentlichung von "Answered Prayers". – Die Schriftstellerin hat viel in das Buch hineingepackt, als wolle sie möglichst viele Genres unter einem Dach versammeln. Bedauerlicherweise ist es zuviel. Vor allem für profund informierte Kunstfreunde, die angesichts der Übertreibungen mitunter mit dem Kopf schütteln mögen. Dennoch handelt es sich, man wagt es kaum, sich das einzugestehen, ein hinreißendes Buch. Trotz einiger Ärgernisse entfaltet es eine ungewöhnliche Sogkraft.

Die Launenhaftigkeit der Liebe

von Hannah Rothchild

Aus dem Englischen von Monika Baark

DVA, München 2016, 512 Seiten

 

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