Christiane Hagedorn und Patrizia ...

Christiane Hagedorn und Patrizia Carlucci (Bild: © HL Böhme)

Jon-Kaare Koppe

© HL Böhme

 

Suche nach Entspannung am Nordpool

Bei der ersten Geschichte der "Wassererzählungen" geht es um einen Kreuzfahrer, der Abstand sucht vom städtischen Genussbetrieb, aber gerade auf dem Luxusschiff damit konfrontiert wird. Jon-Kaare Koppe spielt diesen versprengten Komfortausreißer, der, seine elfjährige Tochter im Gepäck, ständig mit seiner Exfrau telefoniert, um sie über seine Erlebnisse und Befindlichkeiten auf dem Laufenden zu halten. Hinter einer Leinwand sitzend, referiert er sichtlich bewegt von seinen jeweiligen Gemütslagen - und von der Befürchtung, sein Tochter könne ihm völlig entgleiten. Auf den Weg zum Nordpool findet er keine Entspannung, er schafft sich seinen Stress selber und kann seine Tochter nicht von seiner Brauchbarkeit überzeugen. Angesichts der an Bord arbeitenden Filipinas spürt er den Stachel seines schlechten Gewissens. Auch die Geschenke der Natur, das Innere ergreifende Naturerlebnisse gewähren dem Fragilen nur ein ephemeres Glück, das sogleich von der unschuldigen Lebensfreude der weltzugewandten Tochter konterkariert wird. Die Erholungsreise wird zur Flucht vor sich selbst, das Wasser versagt seine Kraft.

 

Die transzendentale Energie des Wassers

Ein Fest des Wassers hingegen zelebriert die Vorschwimmerin (Christiane Hagedorn), zumindest verbal, um die designierte Nachfolgerin (Patrizia Carlucci) von der Makellosigkeit und Anmut des Jobs zu überzeugen. Kleidungsmäßig ist ein Zwillingsdress angesagt, gleicher Trenchcoat, gleiche Strumpfhose und gleiche Schuhe. Dr. No, die verborgen zuschauende Exzellenz, soll in den Genuss eines nahtlosen, fließenden Übergangs hineingeschaukelt werden. Wenn die Vorschwimmerin von der transzendentalen, spirituellen Energie des Wassers redet (und damit auch ein bisschen die Meinung des Autors widerspiegelt), wittert die Nachschwimmerin nur Prostitution und ein Hurentum, das sich dem voyeuristischen Blick preisgibt. Nein, es sei keine Prostitution, sondern ein Amt, ein Hochamt gar, das Gegenteil von Sex, auch wenn sie nackt schwimmen müsse...Das Geschwafel vom Katharsiseffekt prallt ungehört ab: Die Nachfolgerin ist ein Frau, die fortwährend nachhakt und zehnmal die gleichen Einwände vorbringt, also eine Person, der man am liebsten den Mund verstopfen würde, wäre man nicht auf sie angewiesen. Jäh geht die Vorschwimmerin auf die Knie, macht einen Kotau vor der Jüngeren, und es wird deutlich, dass hier ein Berufsdruck vorherrscht.

 

Marianna Linden

© HL Böhme

 

Plötzliches Aufflackern von Pädophilie

Von den Geschichten geht ein kleiner Zauber aus, obwohl sie doch sehr prosaisch sind und das Poetische nur momentweise aufleuchtet. Es sind Alltagsgeschichten mit der Tendenz zur Transzendierung des Alltags. Immerhin gelingt dem Duo Wellemeyer/von Düffel ein eindringlicher Abend, der mehr aussagt als die x-te Komödie und Anlass zum Nachdenken bzw. Weitersinnieren gibt. In der letzten Geschichte "Fetzenfisch" steht eine Frau vor einem Aquarium, das sie zu zahlreichen Reflexionen übers eigene Leben anregt. Eine verheiratete Personalchefin (Marianna Linden) hat sich einen halb so alten Liebhaber ausgesucht, der in ihrem Betrieb arbeitet. Das plötzliche Aufflackern von Pädophilie lässt sie in eine Mamarolle hineinrutschen, dabei hat sie schon zwei Kinder, die ihrer Kontrolle allmählich wegzurutschen drohen. Das teilt sie alles ihrem nichtvorhandenen Jüngling mit. Nun hat sie gemäß Sartre die Wahlfreiheit des Sich-selbst-Entwerfens, sie kann immer neue Entwürfe entwickeln. Aber aufgrund ihrer Gebundenheit ist sie in einer Sackgasse, die Wahl der Möglichkeiten existiert nur in ihrem Kopf. Das Zuviel an Möglichkeiten könnte sich auch als Fluch erweisen.- Die theatralisierten Geschichten erfordern eine hohe Konzentration, sie wollen mehr als nur unterhalten. Ihnen fehlt die Dramatik, die Spannung und manchmal versinken sie auch in Langeweile. Aber trotz ihrer Schlichtheit vermögen sie wenn nicht zu packen, so doch zu ergreifen. Ein recht unprätentiöser Abend, der trotzdem guttut.

Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem

Von John von Düffel

Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Video und Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi.

Es spielen: Patrizia Carlucci, Christiane Hagedorn, Jon-Kaare Koppe, Marianna Linden, Luise von Bismarck (Film).

Hans Otto Theater Potsdam

Uraufführung vom 13. November 2014

Dauer: ca. 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause


 

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