Franziska Melzer, Florian Schmidtke

Franziska Melzer, Florian Schmidtke (Bild: © HL Böhme)

Mit bipolarer Störung in die Offensive

Der Pole Wojtek Klemm, einst ein Castorf-Adlatus und mittlerweile etwas emanzipiert, hat einen Sinn fürs Musikalische. Bei Diamanten sind Kohle auf Arbeit (Volksbühne, Mai 2011) wartete er mit Tschechow und einem wilden Schlagzeuger auf, der die exaltierte Anne Ratte-Polle lautstark assistierte. Diesmal hat er Marc Eisenschink im Aufgebot, und der schwankt auf seinem computergestützten Keyboard zwischen seniorenkompatibler Pop-Musik und schrägeren Klängen, die sich sogar in leicht psychedelische Sphären steigern können, je nach Sachlage. Der gestürzte Anton, das ist Florian Schmidtke, der offensichtlich einen Manisch-Depressiven spielt, eine Krankheit, die heute – die Medizin ändert gerne die Termini – bipolare Störung genannt wird. Anton oszilliert zwischen Verzweiflung und Hoffnung und offenbart bei der Abgabe von Altflaschenbons Baggerqualitäten. An der Kasse sitzt Denise (Franziska Melzer), die sich und eine Inklusionstochter zu versorgen hat und aufgrund einer Melange aus Erquickung und Flucht einen Amerikaaufenthalt eingeplant hat. Ein Pornoauftritt soll ihr dabei helfen, ihr Honorar ist exakt die Summe, die Anton benötigt. Hälse können aus der Schlinge gezogen werden, und die Liebe fällt. Dass die Liebe nicht gar zu intensiv ausfällt, dafür sorgt die Regie.

 

Franziska Melzer, Florian Schmidtke

© HL Böhme

 

Liebe als letzte Rettungsmöglichkeit

Die im Supermarkt Liebenden sind durch einen Raumteiler getrennt, der an eine Einrichtung aus der Fabrik erinnert. Die Fließbandbabys können sich nicht zu nahe kommen, obwohl das vom Verglühen bedrohte Herz glüht. Immerhin überwinden sie in Abständen die Barriere. Im Hintergrund sind einige Fenster installiert, die wie Beobachtungsposten wirken, hinter dem sich die restlichen Schauspieler verschanzen, um irgendwann an die Rampe zu treten und zu sagen, was der Roman hergibt. Informationen, wie lange Franziska Melzer in der Maske verbracht hat, stehen nicht zur Verfügung, jedenfalls hat sie im Vergleich zu vergangenen Tagen einen erstaunlichen Attraktivitätsschub erfahren. Das passt gut zu ihrer Rolle: Sie, mit Sexappeal agierend, sieht tatsächlich etwas nach Porno aus und gestattet sich einige exzentrische Einlagen, die wesentlich aussichtreichere Kandidaten als den abgestürzten Anton anlocken könnten. Der Rest des Ensembles ist einigermaßen eingebunden und verlegt sich teilweise aufs Eingeübte: Peter Pagel, ob als Denises Vater, als Pornoproduzent oder als Arzt, spielt mit ausdruckslosem Pokergesicht, Rita Feldmeier trägt ein krachledern-komödiantisches Gesicht und Eddie Irle tritt auf wie jemand, der seinen Testosteronübschuss mühsam zu kontrollieren sucht. Der Regisseur Wojtek Klemm interessiert sich vor allem für Gesellschaftskritik: Vogel friss oder stirb, Rettung gibt es allenfalls durch als Anker fungierende Verbindungen, die von individuellen Bedürfnissen überlagert sind. Traurige Zeiten, in der nur eine - jederzeit vom Einsturz bedrohte - Liebe Abhilfe schaffen kann. Die ganze Inszenierung wirkt, als sei sie auf halbem Weg stehengeblieben. Sie geht gerade noch durch.

3000 Euro

von Thomas Melle

Regie: Wojtek Klemm, Bühne/Kostüme: Susanne Hiller, Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Ute Scharfenberg.

Es spielen: Franziska Melzer, Peter Pagel, Zora Klostermann, Friedemann Eckert, Eddie Irle,

Florian Schmitdke, Rita Feldmeier, Nina Gummich.

Hans Otto Theater Potsdam, Reithalle

Premiere war am 13. November 2013, Kritik vom 19. November

Dauer: 90 Minuten

 

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