Florian Schmidtke (Bodo Imhoff) ...

Florian Schmidtke (Bodo Imhoff), Marianna Linden (Lotte Laserstein), Nina Gummich (Lise Henkel), Meike Finck (Traute Rose), Philipp Mauritz (Ernst Rose) (Bild: © HL Böhme)

Unter vielen Menschen, aber doch allein

Zu Beginn sehen die Zuschauer*innen Lasersteins Bild in Großformat. Was sich vordergründig als Idylle gebärdet, ist ein Bild tiefgründiger Beziehungslosigkeit und Isolation. Die Personengruppe sitzt auf einem Balkon über Potsdams berauschender Stadtlandschaft eng beeinander, ist aber weit voneinander entfernt. In meditative Versenkung eingetaucht ist jeder nur bei sich selbst. Eine Frau in Gelb macht ein griesgrämiges Gesicht, als sei soeben ein Erdbeben ausgebrochen. Die reale Laserstein hatte sich Modelle ausgesucht, die sich für die Verwirklichung ihrer künstlerischen Vorstellungen bereiterklärten. Auf der schlicht eingerichteten Bühne (Jeremis Böttcher) stehen eine Staffelei, Fensterrahmen, ein großer Tisch und kleinere Requisiten. Zur Komplettierung des oben genannten Personals gehören noch Traute Rose (Meike Finck), eine Angestellte und intime Vertraute, und das professionelle Model Maria Goldmann (Zora Klostermann), das lieber einen germanischen Nachnamen tragen würde und nach einer Phase halben Erfolges abgerutscht ist. Klostermann ist ein wenig gegen den Strich gebürstet, so exaltiert hat sie in Potsdam bislang noch nicht gespielt. Optisch ist sie ein künstlich aufgepäppeltes Machwerk der aufkommenden Foto-Industrie. Längst befindet sie sich im sozialen Abstellgleis.

 

Marianna Linden, sinnierend

© HL Böhme

 

 

Der Hochdruck bleibt aus

Selbstverständlich nimmt sich die Malerin (Marianna Linden) einige Kaprizen und Extravaganzen heraus, die dann von Traute Rose abgefedert werden. Im Gegensatz zu den anderen erhitzten Gemütern wirkt sie wie ein ruhender Pol, der sich fürs regulierende Gleichgewicht entschieden hat. Ihre Beziehung zu Rose ist lesbischer Natur, es kommt zu Umarmungen, Küssen und einer ausgiebigen Fußmassage. Meike Finck, Vertreterin der bürgerlichen Solidität, trägt eine Krawatte, um ihre anschwellende Virilität zu betonen, und verhält sich wie jemand, der keine Abgründe kennt. Die in ihrer Zusammenstellung braven Klamotten Lindens erwecken den Eindruck philiströser Gediegenheit, als sei die Malerin, gemäß den Vorurteilen eine liederliche Gesellin, eine getarnte Büroleiterin mit zarten Aufstiegsambitionen. Linden versteht es geschickt, sich dem Verdacht der Farblosigkeit zu entwinden. Nun, all die dargebotenen Szenen liefern keinerlei Hochdruckstimmung, es sei denn, man betrachtet die Entfaltung eines lesbischen Verhältnisses und die politische Degeneration mit all ihren Debatten als Gipfel dramatischer Hochspannung. Und so streiten sich denn die Antipoden, Philipp Mauritz als halb gebrochener Dramaturg und der von umfassenden Säuberungen träumende Journalist Forian Schmidtke. Mitunter kommt einem die Inszenierung seltsam leer vor, Lücken tun sich auf. Doch zwischendurch entstehen gleichsam fesselnde Facetten menschlichen Beieinanderseins. Die Regisseurin Osthues lässt den Zerfall über die Geborgenheit siegen. Sie unterlässt den ins Beliebige abgleitenden Spaß-Brimborium wie etwa bei "Minna von Barnhelm" (Premiere Mai 2013) und bleibt sachlich. So wie das Bild "Abend über Potsdam" der Neuen Sachlichkeit zuzurechnen ist.

 

Abend über Potsdam
von Lutz Hübner, Ko-Autorin Sarah Nemitz
Uraufführung
Regie: Isabel Osthues; Bühne: Jeremias Böttcher; Kostüme: Mascha Schubert; Musik und Komposition: Timo Willecke; Video: Patrick Rost; Dramaturgie: Ute Scharfenberg.
Mit: Marianna Linden, Philipp Mauritz, Meike Finck, Zora Klostermann, Nina Gummich, Florian Schmidtke.

Hans Otto Theater Potsdam, Uraufführung vom 7. April 2017.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

 

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