Meike Finck (Maslowa) und Franziska ...

Meike Finck (Maslowa) und Franziska Hayner (Bild: © HL Böhme)

Bedürfnis nach Hingabe

Als Nechliudow (Wolfgang Vogler) seine einstige flüchtige Geliebte Maslowa (Meike Finck) bei einer Gerichtsverhandlung wiedersieht, ist er gepackt und entsetzt zugleich. Sie soll als Prostituierte einen Mord begangen haben, und Nechliudow, der sie früh geschwängert und sitzengelassen hat, fühlt sich plötzlich an ihrem Werdegang mitschuldig, ja er übernimmt innerlich sogar die Verantwortung. Das ist der Wendepunkt, ein persönliches Erweckungserlebnis, kulminierend im Bedürfnis nach Hingabe. Die Introduktion mit einigen Schauspielerinnen ist stark, dann folgen die Gerichtsszenen, bei denen rasch deutlich wird, dass zwischen Nechliudow und der Maslowa Welten liegen. Wolfgang Vogler zeigt Demut mit Inbrunst, kaum nimmt man es seiner Figur ab, dass sie früher als Lebemann fast kein Bett ausgelassen hat. Dieser Nechliudow ist weichgespült, etwas blutleer und konstant unaufgeregt, einen cholerischen Ausbruch traut man ihm gar nicht zu. Meike Finck spielt ihre Maslowa mit viel Stolz, der gerade im Abgrund besonders massiv hindurchschimmert, mit Frivolität und distanzierter Kälte. Regisseur Wellemeyer hat eine sehr busige Frau ausgewählt, die das pralle Leben verkörpert und innerlich gegen die adlige Vornehmheit zu revoltieren scheint. "Er gehört nicht zu mir", mag es ihr wohl permanent durch den Kopf gehen, und sie ahnt auch, dass er sich mit seiner bizarren Liebe nur von seinem schlechten Gewissen freikaufen möchte.

 

Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Schwächeren

Tobias Wellemeyer hat mit drei Stunden ausreichend Zeit, die Personen auszuleuchten, doch er belässt es bei einer Oberflächenillumination. Viele Schauspieler wirken nur wie höhere Komparsen, die meist im Kollektiv in Erscheinung treten. Bei Szenen, die in der sogenannten besseren Gesellschaft spielen, tritt das weibliche Personal in schmucken historischen Kostümen auf, sie rollen heran in Rollschuhen und feiern sich selbst. Dieser Verein weiß nichts von den Problemen der Armen, will davon gar nichts wissen. Dies ist auch ein Anklagepunkt der Inszenierung: Die vollständige Indifferenz gegenüber dem Schicksal der Schwächeren, die mittlerweile globale Ausmaße angenommen hat. Für den wohlhabenden Kreis ist Nechliudow nur ein Trottel, der ein komfortables, privilegiertes Leben mit einem Sumpf vertauscht. Wahrscheinlich hat Wellemeyer viel Dostojewskij gelesen, denn er lässt immer viele Personen in einem Raum zusammenkommen. Und "Auferstehung" erscheint wie eine ins Fiktionale übergreifende Biografie von Tolstoi.

 

Meike Finck, Wolfgang Vogler

© HL Böhme

 

Gefangen im Container

Um die juristischen Verfehlungen, die unmenschlichen Behandlungen von Strafgefangenen anzuprangern, fährt Wellemeyer schwere Geschütze auf. Diese Inszenierung ist auch eine Internierung. Ein Container wird vom Bühnendach heruntergelassen, voll beladen mit Häftlingen. Eingesperrt wie in den Stall getriebene Tiere, die in ihrem Gestank dahinvegetieren. Ist das ein Verweis auf die aktuellen Unterbringungscontainer für Asylanten? Die Gefangenen kommen auch teilweise aus dem Boden gekrochen, als haben die Ausgeschlossenen gerade die Unterwelt verlassen, um in die eigentliche emporzusteigen. Das ist alles dick aufgetragen, verfehlt aber seine Wirkung nicht. Und mittendrin ist Nechluidow, der sich mit diesen Gedemütigten solidarisiert, bewusst seinen Untergang wählt und damit seine Wiederauferstehung feiert. Sein Werben um die Maslowa bleibt letztlich erfolglos: Nach der Aufhebung ihrer Verbannung lehnt sie ihn kategorisch ab, eiskalt und nicht ohne Boshaftigkeit. Immerhin, Wellemeyer kann seinen leichten Hang zur Verschmocktheit niederhalten. Es leuchtet zuweilen scharf heraus, aber grell ist es nie. Im Übrigen gelingt ihm mit einem General im Glaskasten eine schöne Theaterszene. In dieser letztlich durchwachsenen Inszenierung muss man sich an die – zu selten eingestreuten – Blüten halten.

Auferstehung

von Leo Tolstoi

für die Bühne bearbeitet von Remsi Al Khalisi

Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Harald Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi

Mit: Meike Finck, Wolfgang Vogler, Christoph Hohmann, Dennis Herrmann, Jon-Kaare Koppe, Philipp Mauritz, Eddie Irle, Denia Nironen, Friedemann Eckert, Marianna Linden, Rita Feldmeier, Franziska Hayner, Raphael Rubino, Birgit Rachut.

Hans Otto Theater Potsdam

Premiere vom 29. März 2015

Dauer: 3 Stunden, eine Pause

 

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