Hans Otto Theater Potsdam. Kritik von "Das Goldene Vlies” – Alexander Nerlich
Premiere des Textes von Grillparzer. Die zerrissene Medea präsentiert sich weitgehend wild bis in die späte Rache hinein. Geld und Renommee sind wichtiger als menschliche Werte.Florian Schmidkte, Marianna Linden (Bild: Göran Gnaudschun)
Raub und saftige Ringkämpfe
Gier gibt es nicht nur in größeren Landstrichen, sondern auch auf der Insel Kolchis, deren Bewohner*innen von den Griechen als Barbaren und Underdogs betrachtet werden. Hier hausen der König Aites (Bernd Geiling) und seine Tochter Medea (Marianna Linden). Kaum kommt ein freundlich gesinnter Grieche, wird das Gastrecht durch einen Mord missbraucht und das goldene Vlies (ein göttliches Widderfell), das der Besucher bei sich trägt, landet in den Händen der Kolchiser. Nerlich gibt sich alle Mühe, die Verrohung des entfesselten Königs darzustellen, nebst einer ebenfalls triebgebundenen Medea, die ihm bei der Eliminierung des wertvollen Griechen assistiert. Als dann der Grieche Jason (Florian Schmidtke) und Wolfgang Voglers Milo auf Kolchis eintreffen, um das gestohlene Vlies zurückzuerobern, erinnert das Ganze an einen Einfall einer antiquierten GSG 9. Jason ist wie ein Krieger gekleidet, wie ein kompromissloser Kolonialherr, der in Medeas martialischer Kluft seine optische Entsprechung findet. Eine Liebe zwischen zwei Kämpfern also? Nun, es wundert geradezu, dass Medea ihre ungeahnten Gefühle an dieses scheinbar fühllose Raubein heftet, das sein Zartgefühl eher für sein Schwert aufspart. Es entsteht ruckartig eine besessene Liebe, die wohl hauptsächlich dem rein körperlichen Verlangen entspringt. So kommt es dazu, dass das frische Paar in Ringkämpfe und verknotete Positionen verfällt, die schließlich ins nackte Begehren umschlagen, wo die Missionarsstellung abgeschafft ist. Medea ist übrigens zweigeteilt: Die wird gleichzeitig gespielt von der 13-jährigen Renée Gerschke, die gänzlich außerhalb der Verstandeskontrolle agiert.
Marianna Linden
© Göran Gnaudschun
Das gesellschaftliche Ansehen ist wichtiger als die Liebe
Von Liebe benebelt flüchten die beiden nach Korinth, wo König Kreon (Peter Pagel) das Szepter schwingt. Hier, nach der Pause, ist alles verändert. Bei den Griechen herrscht eine fassadäre Abwehrhaltung, eine Mauer ist aufgebaut, die wohl vor unzivilisierten Eindringlingen schützen soll. Der Triumph der Kultur über die Barbarei. Während Kreon ein goldfarbenes Luxusgewand trägt, wird seine Tochter Kreusa (Denia Nironen) in eine abenteurliche, vorgeblich hochmoderne Kleidung gesteckt (Kostüme: Matthias Koch). Eine hellbeige Hose reicht ihr bis zum Bauchnabel, dazu ein weiße Bluse, auf der eine goldene Kette mit Kreuz prangt (warum, wissen nur die – griechischen – Götter). Wie eine frühere Nonne, die jäh in die bessere Gesellschaft gestoßen wird. Schnell wird Kreusa zur Widersacherin, die mit verstecktem Sex-Appeal alte Rechte geltend macht – denn Medea wird von allen Griechen kategorisch abgelehnt, aus dem einfachen Grund, weil sie eine Fremde ist. Und da Jason in der Heimat zu den Notablen der Privilegiengesellschaft gehören möchte, wendet er sich von der nun für den Aufstieg nutzlosen Medea ab: Die Liebe zerfällt zu Staub. Und die zur Rachegötting mutierende Medea tötet die Kontrahentin Kreusa – schlaff hängt Nironens nacktes Bein aus der Badewanne heraus - und die Kinder. Nerlich war es wohl auch darum zu tun, die Gegensätze zwischen der verwilderten Insel und dem prunklastigen Zivilastionsidyll Korinth herauszuarbeiten. Dabei erweist sich hier alles als Attrappe wie bei einem Potemkinschen Dorf. Es herrscht unter der gordneten Oberfläche ebenfalls eine Form der Verwilderung, die freilich etwas domestiziert auftritt. Keinen Sinn macht es in dieser nicht großen, aber jederzeit annehmbaren Inszenierung, auf Gegenwartsbezüge zu lauern.
Das goldene Vlies
von Franz Grillparzer
Regie: Alexander Nerlich, Bühne: Tine Becker, Kostüme: Matthias Koch, Musik und Sounddesign: Malte Preuß, Choreographische Mitarbeit: Alice Gartenschläger, Video: Lisa Katzwinkel, Dramaturgie: Christopher Hanf.
Mit: Denia Nironen, Peter Pagel, Marianna Linden, Renée Gerschke, Bernd Geiling, Florian Schmidtke, Sabine Scholze, Wolfgang Vogler, Jonas Götzinger, Heinrich Poloni/Lennart Kotte, Jaro Watzke/Jannik Johannsen.
Hans Otto Theater Potsdam, Premiere vom 3. Februar 2017.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)