Die Familie vereint

Die Familie vereint (Bild: HL Böhme)

Familienzwist statt Harmonie zum Ehrentag

Der Autor Christoph Nußbaumeder verschränkt die Rolle des zwangsweise Vertriebenen mit der aktuellen Flüchtlingssituation. Die Drehbühne kurbelt unablässig ihre Bahn, man sieht einen idyllischen Ort vor einem Bergmassiv und eine Art Turnhalle, die, in Metall gehalten wie bei einer dissonanten Stahlwerksinfonie, mit zahlreichen Unterschlupf-Betten ausgerüstet ist. Die überlebenstechnische Behaustheit ist da, aber wer fragt nach dem geistigen, ja metaphysischen Obdach? In der Potsdamer Version vollzieht sich das langatmige Ausharren in einem Überbrückungsort, wahrscheinlich Deutschland, aber im Original ( Uraufführung 13.5. 2016, Landestheater Linz) ist der Schauplatz das "habsburgerische" Oberösterreich, wohin viele Menschen aus Südböhmen wegen der geringen Entfernung flüchteten. So wie Stefan Otteni das Stück inszeniert, könnte man annehmen, dass Stefan Riedl (Bernd Geiling) erst durch die Flüchtlingswelle zum Nachdenken übers eigene Schicksal angestoßen wurde. Es mutet seltsam an, dass der 80-Jährige so viel Zeit gebraucht hat, um die drei Töchter nebst Anhang über seinen eigenwilligen finalen Lebensplan in Kenntnis zu setzen. Katharina (Meike Fink) und Bettina ( Marianna Linden), Mitglieder des allgemeinen Genussbetriebs, sind gut situiert, dem Bürgerlichen verhaftet, haben ein Einkommen. Die außergeschäftliche Lebensgestaltung, das Leben mit den Ehemännern (René Schwittay, Florian Schmidtke) ist, harmlos ausgedrückt, verworren und kompliziert. Es wird am Ziel vorbeigeliebt. Abzuwerfen die Last kommt bestenfalls in den Sinn. Man setzt auf die Ordnung, selbst wenn sie wankt, macht weiter, irgendwie, es bleibt bei graziösen und unbehaglichen Sticheleien.

 

Meike Finck und René Schwittay

Foto: HL Böhme

 

 

Die Familientafel ist angerichtet

Ganz anders die jüngste Tochter Anna. Der österreichische Neuzugang Katrin Hauptmann liefert eine grandiose Darstellung einer Aufbegehrenden, die alle Fakten wissen will, alle. War Papa Stefan, der sich die Opferrolle auferlegt hat, nicht auch ein kleiner Nazi, so wie sein Vater? Vielleicht sogar ein Täter, wie es historisch vielen Sudetendeutschen am unter Strapazen erreichten Ankunftsort vorgeworfen wurde? Bernd Geiling, oft in einem schlichten Federkern-Kombinatssessel sitzend, spielt das Familienoberhaupt polternd, brachial, aber unter der rauen Firnis zeigt sich immer wieder eine nicht zu unterdrückende Verletzlichkeit. Unterstützt wird er vom 70-jährigen Cousin (Roland Kuchenbuch), der angesichts seiner sozialdemokratischen Gesinnung ebenfalls die Vertreibung vom Heimatboden anprangert. Hier liegen die schroff gerupften Wurzeln, überall sonst gibt es nur künstliche Gewächse, Surrogate ohne einem authentischen Nährboden. Bedauerlicherweise ist es Nußbaumeder nicht so recht gelungen, die etwas weit hergeholten Parallelen zwischen in der Öffentlichkeit abgehakter kriegsbedingter Flucht, aktueller politischer Flucht und Weltflucht plausibel zu machen. Geilings Stefan sitzt gegen Ende verloren in einem Turnhallen-Bett und fühlt sich unter den Fremden genauso verloren und verstoßen wie damals, als er "abgeschoben" wurde. Keine Solidarität der Verfolgten, und dann noch der Verlust seines Kuscheltiers. Insgesamt bietet Regisseur Otteni ein Kammerspiel mit Familienaufstellung, etwas orientiert an "Dogville" von Lars von Trier. Die Familientafel ist angerichtet und es wird eifrig debattiert. So ein unformalistisches Format kann auch schief gehen – tut es aber nicht. Dank eines hervorragenden Ensembles und spritziger Dialoge ist es ein recht großer Abend. Keine routinierte Höflichkeitsakklamation, sondern minutenlanger herzlicher Applaus.

 

Das Wasser im Meer

von Christoph Nußbaumeder

Deutsche Erstaufführung in einer Neufassung

Regie: Stefan Otteni, Bühne: Peter Scior, Kostüme: Sonja Albartus, Video: Lisa Katzwinkel, Dramaturgie: Christopher Hanf.

Es spielen: Katrin Hauptmann, Bernd Geiling, Roland Kuchenbuch, Meike Finck, Marianna Linden, René Schwittay, Marie Fischer, Florian Schmidtke, Jonas Götzinger, Ahmad Samsoon/Yanal Al Saadi.

Hans Otto Theater Potsdam, Premiere vom 15. September

Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

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