Friedemann Eckert (Nicolas), Nina ...

Friedemann Eckert (Nicolas), Nina Gummich (Pauline), Eddie Irle (Sébastien) (Bild: © HL Böhme)

Karriere und das Stopfen von Körperöffnungen

Für die Rolle der Pauline gibt es im Ensemble wohl keine geeignetere Darstellerin als Nina Gummich, die diesmal den ihr zugewiesenen Charakter passabel absolviert. Die Original-Umschreiber Klemm und Helge Hübner verzichten auf den Romananfang und steigen erst nach Claudines Freitod ein. Ohnehin geht Klemm sehr freizügig mit der Vorlage um, wagt größere Eigenideen und Hinzufügungen und ist ein Profi im Weglassen. Es ist, als sei ein Adept Castorfs am Werk, der in zu große Fußstapfen treten möchte. Claudine war eine Sängerin, ohne singen zu können, deshalb springt die gesichtsgleiche Pauline bei einem Musik-Festival ein und bewältigt trotz gewaltigem Nervenflattern ihre Aufgabe furios. Ab sofort ist Paulines Anrufbeantworter voll mit Musikangeboten und ihr Freund Nicolas (Friedemann Eckert) wird zu ihrem Agenten, der sich mit den Branchenprofis einlässt und wichtige Gespräche führt. Der erste große Plattenproduzent ist Big Boss (René Schwittay), der sie zu einer großen Nummer machen möchte und auch macht und gelegentlich eine ihrer Körperöffnungen "stopft". Der als ihr Manager dilettierende Nicolas gesteht sein Lügengebräu und Scheitern ein, aber bald sind schon 200 000 Exemplare des Erstlings verkauft.

 

Nina Gummich als Rapperin

© HL Böhme

 

Der radikale Identitätswandel gelingt

Das Bühnenbild (Anton Unai) ist noch das Beste des ausverkauften Reithallen-Abends. Großartig, die Bühne passt exakt zum Inhalt. An der Wand stehen zwei senkrecht aufgebaute, große Leinwände mit Zeichnungen und Sprüchen, beispielsweise eine masturbierende Frau, deren Spann von einer anderen Frau geküsst wird, dazu eine penetrierte Rosette und andere, nicht in Sexhandlungen involvierte Figuren. In der Mitte des Raums steht ein Doppelbett zum Träumen und Austoben und links ist eine Art Telefonzelle, die einen Swinger-Club darstellen soll. Da drin tummeln sich die vier Figuren und huldigen einer vulgär-progressiven Erotiksprache. Immer wenn es irgendwie um Sex geht, sitzt der Spezialist Eddie Irle mit im Ensemble-Boot. Er spielt den aus dem Knast zurückgekehrten Sebastian, der nicht einmal merkt, dass er bei Pauline statt Claudine gelandet ist. Nicht lange, und der konsternierte Liebhaber verlässt die dauerkoksende Pauline wegen einiger fahrlässiger Seitensprünge. Eigentlich könnte der perfekte Identitätswandel Hauptthema der Inszenierung sein, aber die Rollenübernahme setzt erst nach dem Tod der nicht gezeigten Claudine ein. So hat der Rezipient keine Vergleichsmöglichkeit. Der Regisseur hört viel auf seine Eingebungen und Inspirationen: Einmal ziehen sich die männlichen Darsteller jeweils eine Schuh aus, um mit ihrem nackten Fuß herumzuwedeln, als handele es sich um kokette Frauen. Auch Eckerts bizarres Zehenspiel wird den Zuschauer*innen auf der Leinwand zugemutet (die Akteur*innen filmen oft mit einer kleinen Handkamera). In dieser noch annehmbaren Uraufführung hüpft und wackelt Big Boss – Schwittay trägt nackten Oberkörper und hat sich eine rot funkelnde Kette um den Hals gelegt – oft wie ein aufgezogenes Spielzeug herum. Insgesamt wäre trotz akzeptabler Sequenzen mehr drin gewesen. Meistens ist es von Vorteil, das Buch vor der Aufführung zu lesen. Hier verhält es sich umgekehrt.

 

Die schönen Dinge

von Virginie Despentes

Aus dem Französischen von Michael Kleeberg

Bühnenfassung von Wojtek Klemm und Helge Hübner

Regie: Wojtek Klemm, Bühne: Anton Unai, Kostüme: Anika Budde, Dramaturgie: Helbe Hübner, Musik: Marc Eisenschink.

Es spielen: Nina Gummich, Renè Schwittay, Eddie Irle, Friedemann Eckert.

Hans Otto Theater Potsdam, Reithalle

Uraufführung vom 13. 01. 2017

Dauer: 1 Stunde 45 Minuten

© HL Böhme

 

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