René Schwittay (Jason), Christoph ...

René Schwittay (Jason), Christoph Hohmann (Jason), Denia Nironen (Grace), Raphael Rubino (Jason), Michael Schrodt (Jason) (Bild: @ HL Böhme)

Individualistische Gestalten im Dorf

"Dogville" ist die erste Aufführung von Christoph Mehler am Hans Otto Theater. Zu seinen Stationen gehören die Leitung der Box des Deutschen Theaters (2006 – 2009), Hausregisseur im Schauspiel Frankfurt (2011 – 2014) und etliche Aufführungen im Bundesgebiet. Die Kino-Vorlage von 2003 macht es ihm insofern einfach als der minimalistische Film ohnehin einige Theaterelemente beinhaltet. Mehler lässt einige skurrile Gestalten auffahren, die schon wegen ihres unkonventionellen Äußeren kein zusammengeschmolzenes Kollektiv ergeben. Eddie Irle als Chuck trägt eine Art Hawaii-Hemd offen, René Schwittay kommt als kraftmeiernder Rocker daher, Raphael Rubino könnte jedes Bilderbuch der Türsteher-Szene zieren und Michael Schrodt trägt ein rosafarbenes, von Baby-Aura durchtränktes Frauenkleid. Die Sektion der Dorffrauen wird von Rita Feldmeier, Melanie Straub und Juliane Götz übernommen. Inmitten diese Kleinfraktionen irrlichert Tom Edison (Moritz von Treuenfels) daher, mit seiner gelenkigen Zappeligkeit gänzlich ungeeignet für die Rolle eines besonnenen Ombudsmannes. Er wirkt ein wenig naiv, intellektuell-verweichlicht und unentschlossen – entschlossen ist er nur bei der fürsorglichen, von heeren und sinnlichen Gefühlen diktierten Einquartierung von Grace (Denia Nironen). Die aber taucht nun auf polizeilichen Fahndungsplakaten auf, die ihren Aufenthalt zu einem Hasadeur-Spiel machen. Sie wird immer noch geduldet, muss aber wesentlich mehr leisten und begeht wegen Überanstrengung Fehler. Sie wird zur Last, der männliche Block aber denkt nach und vergewissert sich ihres hohen Grads an Knackigkeit. Hier kann das Angestaute vorzüglich entladen werden, bei einer vermuteten Soft-Braut von exklusiver Zartheit, ungesehen von der ausgeleierten Gattin.

 

Das Ensemble nutzt die Gelegenheit ...

Das Ensemble nutzt die Gelegenheit kreuzweise (Bild: @ HL Böhme)

Der Weg zum Abgrund

 

Der Weg ins Martyrium beginnt, der Abstieg, fast ein Untergang. Mehler gelingt ein phantastisches Bild. Eine Leiter verbindet die Wohneinheiten, darauf hängt Nironen, die von allen Seiten begrapscht wird, auch an Busen und Beinen. Wie Schlangen umwinden sie ihren Körper, die Sättigungsvollstrecker geraten in einen Hochflug kooperativer Daueroffensive, dabei war Irles Chuck der Erste, der das erotische Neuland entdeckte. Das wird freilich alles nur spielerisch angedeutet, Mehler aktiviert die Phantasie des Publikums. Grace wird an ein Wagenrad gehängt, um den Kopf eine Kuhglocke, ein Canossa-Gang. Der verärgerte, abgewiesene Tom ruft die Gangster herbei und Crace erweist sich als Tochter des Bandenchefs. Jetzt beginnt die Zeit des Big Bosses, jetzt beginnt die Zeit von Rita Feldmeier, die eine kupferfarbene Perücke trägt und die Rachejustiz reklamiert, die ausgleichende Nemesis eben. Hart und schwer und eindringlich kommen die Worte aus Feldmeiers nuancierendem Zungenmodul heraus, ein apodiktisches Verdikt aussprechend. Grace darf andere Leute nicht mit ihren eigenen moralischen Maßstäben messen, sie muss ein süßes Racheritual initiieren. Die mal brillante, mal abfallende, ihr hübsches Gesicht hinhaltende Nironen lässt nach der Unterweisung alles niederkrachen, die Schergen des Vaters erledigen ihr Werk, die Dorfbewohner*innen liegen nach anfänglichen Zuckungen darnieder. Eine purgatorische Reinigung, ein Schlachtfeld, das Fragen aufwirft. Wollte Mehler den saftigen Rausch der ein Wohlgefühl verschaffenden Nemesis demonstrieren, oder allein das Allzu-Menschliche präsentieren, das die Abgründe nicht nur streift? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass Mehlers Premiere in Potsdam eine recht gelungene ist.

 

Dogville

Von Lars von Trier

Dramatisiert von Christian Lollike, Deutsch von Maja Zade.

Regie: Christoph Mehler, Bühne: Nehle Balkausen, Kostüme: Jennifer Hörr, Dramaturgie: Christophe Hanf.

Es spielen: Denia Nironen, René Schwittay, Rita Feldmeier, Melanie Straub, Christoph Hohmann, Juliane Götz, Raphael Rubino, Moritz von Treuenfels, Michael Schrodt, Eddie Irle.

Hans Otto Theater Potsdam, Premiere vom 22. April 2017.

Dauer: 90 Minuten

 

 

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