Jon-Kaare Koppe (Jack), Florian ...

Jon-Kaare Koppe (Jack), Florian Schmidtke (Roy), Raphael Rubino (Desmond), Philipp Mauritz (Cliff) (Bild: @ HL Böhme)

Was soll die Moral bei der Geldvermehrung?

Wellemeyer inszeniert die Vorlage als reine Komödie, in der Hoffnung, dass hinter all dem Spaß auch Ernst – Anklage der zerrütteten Verhältnisse – hindurchschimmert und das Publikum in irgendeiner Weise zum Besseren inspiriert wird. Im Anfang ist der fabelhafte, greisenhaft spielende Familienpatron Christoph Hohmann, der sein Lebenswerk an den Sohn Jack (Jon-Kaare Koppe) abgibt und hofft, dass alles so weitergeht wie zuvor. Bedauerlicherweise will der moralisch beflissene Jack aufräumen mit dem System des Altvorderen. Aber je mehr er sich in die Austrocknungen des Sumpfes verstrickt, desto tiefer versinkt er darin. Er engagiert einen Detektiv (René Schwittay), der – ein inszenatorischer Verkleidungsfehler – in Lederjacke wie ein Halbrocker auftritt und die Sachlage der egomanischen, in die eigene Tasche wirtschaftenden Familienmitglieder aufklären soll, aber zum Erpresser wird. Der Nachforscher hat zuviel gehört und möchte ausplaudern. Jetzt will er Schweige-Geld, überhändigt im Koffer, der an den Geldkoffer vom jetzigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erinnert, welchselbiger 1994 eine saftige Summe vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber erhielt. Doch der nie aneckende Wellemeyer denkt nicht so tief und will politisch nicht auffallen. In erster Hinsicht möchte er geistesabwesend berauschen, und die Mittel sind heftig. Raphael Rubino, ein toller Schauspieler, sucht sich selbst in Spielerei zu übertrumpfen, auf dass ihm komödiantische Flügel wachsen, die in den von Amüsement geprägten Hybris-Himmel hineinreichen.

 

Mit ein bisschen Erotik wird einiges besser:

Jon-Kaare Koppe (Jack) - oben
Florian Schmidtke (Roy), Denia Nironen (Tina) - unten

@ HL Böhme

 

 

Entfesselte Triebe einer entfesselten Wirtschaft

Melanie Straub und Nina Gummich, die in letzter Zeit häufig in TV-Rollen in Haupt- und Nebenrollen zu beobachten sind, haben keinen Platz zur Enfaltung. Stattdessen präsentiert im Schlafzimmer-Obergeschoss die ohnehin immer fleischorientiert spielende Meike Finck ihre scharfen Kurven im Domina-Lederkostüm, assistiert vom an die Kette gelegten Lustsklaven Eddie Irle, der in den Geschäftszeiten einen profitorientieren, gewieften Mafioso im Nadelstreifenanzug verköpert. Wellemeyer hat das Panorama – besser: das Panoptikum – der untergründigen Obsessionen voll ausgeschöpft. Er kann das gut darstellen, aber nicht perfekt demaskieren – dafür ist das Projekt ein bisschen zu plump. Die stellenweise grandiose finnische Helvetierin Denia Nironen beispielsweise spielt im ersten Teil eine stockbiedere Mitläufer-Frau mit zurückgelegtem Haar, deren komparsenhaft angeleitetes, brillengeschmälertes Gesicht eine zackige Nase hervortreten lässt. Nach der Pause ist sie eine gediegene Gesellschaftslady, die auch mit versumpften Wassern gewaschen ist, und sie macht ihre Sache hervorragend, zweifellos mit artifizellen Ingredienzien, wie es bei Versuchen eines Boulevard-Kotaus üblich ist. Was versucht Wellemeyer eigentlich wirklich? Die Wiederauferstehung und nachkapitulierende Ausschöpfung einer Möbel-Branche, in die sich der branchenferne, anscheinend von kolossalen Mafiainformationen infiltrierte Alan Ayckbourn hineinphantasiert hat? Die Welt ist gar nicht ganz so schrecklich, aber Wellemeyer drückt auf die Tube. Er hat in der Darstellung alle Leidenschaften forciert und materielle Interessen voll ausgewalzt. Darüber hinaus hat er alle Masken benutzt, ohne sie herunterzureißen. Nun, eine derart komödienhafte Darstellung kann das nur beschränkt leisten. Wenigstens lädt die Inszenierung zum fortwährenden Lachen ein, über die Verderbtheit der Geschäftswelt beispielsweise. Wir sind alle gücklich, da wir nicht so sind.

 

Familiengeschäfte

Von Alan Ayckbourn

Deutsch von Marius von Mayenburg

Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Dramaturgie: Christopher Hanf.

Es spielen: Denia Noren, Marianna Linden, René Schwittay, Eddie Irle, Andrea Thelemann, Melanie Straub, Jon-Kaare Koppe, Raphael Rubino, Philipp Mauritz, Florian Schmidtke, Nina Gummich, Christoph Hohmann.

Hans Otto Theater Potsdam, Premiere vom 3. Dezember 2016

Dauer: ca. 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause


 

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