Zora Klostermann (Marianne) als ...

Zora Klostermann (Marianne) als erotische Tänzerin (Bild: © HL Böhme)

Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg

Alexander Nerlich, der mit der guten Inszenierung Jugend ohne Gott und einem passablen Hamlet schon einigen Theatergängern bekannt ist, hat sich diesmal dem Wien von 1931 gewidmet. Gezeigt werden nicht die während der Massenarbeitslosigkeit darbenden Abgehängten, sondern nur ein eng begrenzter Mikrokosmos, der wohl als repräsentativ für ein bestimmtes soziales Milieu gelten soll. Das gesamte Personal hat Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg und ringt um sein mehr oder weniger bescheidenes Fortkommen. Als einziger Vorbote einer grauen Zukunft fungiert der Nazi Erich (Alexander Finkenwirth), der doch etwas schablonenhaft daherkommt und vor allem als Träger einer Weltanschauung gedacht ist. Erich ist die Inkarnation eines Menetekels, leider etwas zu scharf konturiert. Ansonsten kommt einem die Inszenierung sehr heutig vor, zumal es sozial bedrohte Milieus auch in ökonomischen Boom-Phasen gibt, sie also an keine Zeit gebunden sind. Nur der Rittmeister (Peter Pagel), der die Wurst vom Fleischer Oskar (Florian Schmidtke) stets als "first class" und "Gedicht" bezeichnet, wirkt wie ein Rudiment aus der Kaiserzeit. Ein Restposten, dessen historischer Abgang schon in Hugo von Hofmannsthals "Der Schwierige" beschrieben wurde.

 

Im Vordergrund: Zora Klostermann, Holger Bülow

© HL Böhme

 

Partnerschaft als Überlebensfaktor

Dieses Drama ist die Geschichte einer groß gedachten Liebe zwischen Marianne (Zora Klostermann) und Alfred (Holger Bülow). Sonderlich abgezockt wirkt dieser Spieler, Hallodri und Lebenskünstler eigentlich nicht, er redet sehr bedächtig und versteckt seine Egomanie hinter Selbstlosigkeit. Und Marianne, die eine Ehe mit Oskar ausgeschlagen hat, möchte sich anklammern, benötigt Nestwärme, die sie bei ihrem Vater, dem Zauberkönig (Michael Schrodt) beim besten Willen nicht findet. Zora Klostermanns Gesicht ist in unausgesetzter Bewegung, es liefert eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten, sie läuft allerdings dabei Gefahr, ihre Gebärden überdeutlich auszustellen. Mitunter hat es den Anschein, als würde ihr es schwerfallen, zehn Sekunden stillzuhalten oder eine Szene nur "leer" zu spielen, ganz ohne Ausdruck. Im Grunde hat Marianne ihren Alfred der Trafikantin Valerie (Andrea Thelemann) abgeluchst, die ebenfalls aussieht wie eine Frau von Welt, deren Zeit abgelaufen ist. Mit dem Nazi Erich tröstet sie sich über den Verlust von Alfred hinweg – lieber ein Überbrückungspartner als gar keiner, die menschlichen Qualitäten und Emotionen sind zweitrangig. Partnerschaft degeneriert zu einem Trostpflaster und materiellen Überlebensfaktor.

 

Zora Klostermann

© HL Böhme

 

Das Wegräumen des lästigen Babys

Marianne hat ein großes Problem mit ihrem von Alfred produzierten Baby, das die monetäre Kapazität übersteigt. Alfred bringt den Nachwuchs an die Wachau zu seiner Großmutter, die von Bernd Geiling gespielt wird. Eine übergroße, nach hinten aufragende Haube tragend, legt Geiling einen starken Auftritt als geifernde Giftspritze hin, die sogar vor einer Peitsche als moralischem Präparationswerkzeug nicht zurückschreckt. Die Alte ist es auch, die sich ums Wegräumen des lästigen Babys kümmert. Nachts lässt sie einfach die Fenster offen stehen, damit sich der Säugling eine Lungenentzündung zuzieht und quasi erfriert. Nach verrichtetem Werk ist die Bahn für Marianne wieder frei, sie kann sich ganz anders orientieren. Der biedere Fleischer Oskar, der den ganzen Tag im Blut badet, hat es schon angekündigt: "Du kannst meiner Liebe nicht entgehen." Seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass Marianne mit ihrer gleichsam hündischen Zuneigung in seine Arme fällt. Das ist kein Happy-End, sondern eine Bankrotterklärung. Die Liebe ist zu einer Tauschbörse verkommen, bei der es nur darum geht, das zu ergattern, was man als den höchsten Wert erachtet. Genaugenommen hat Nerlich ein Drama über den Abgesang der Liebe inszeniert, garniert mit zahlreichen Spielereien und Ideen, die aber nur manchmal zünden. Eine interessante Inszenierung, die nicht ganz an die von Michael Thalheimer (Deutsches Theater Berlin, Premiere am 29.3.2013) heranreicht. Nun, bei Nerlich ist das Elend der Menschen nicht ästhetisch poliert, nicht in eine beschwingte Leichtigkeit aufgelöst. Von diesem Regisseur ist noch einiges zu erwarten.

Geschichten aus dem Wiener Wald
von Ödön von Horváth
Regie: Alexander Nerlich, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Wolfgang Menardi, Sebastian Thiele, Musik: Tilman Ritter, Dramaturgie: Helge Hübner.
Mit: Bernd Geiling, Peter Pagel, Zora Klostermann, Holger Bülow, Alexander Finkenwirth, Andrea Thelemann, Michael Schrodt, Florian Schmidtke, Sabine Scholze, René Schwittay, Axel Sichrovsky, Renée Gerschke, Tilman Ritter (Musik).

Hans Otto Theater Potsdam

Premiere vom 10. März 2015
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

 

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