Raphael Rubino, Holger Bülow

Raphael Rubino, Holger Bülow (Bild: © HL Böhme)

oben: Michael Schrodt,
Mitte: Andrea Thelemann, Philipp Mauritz, Christoph Hohmann, Axel Sichrovsky
unten: Raphael Rubino, Holger Bülow, Eddie Irle.

© HL Böhme

 

Tellerakrobatik, Galgenhumor und Sehnsucht

Es wird viel mit Tellern herumgeworfen, wie bei einem Frisbee-Spiel im Park. Das Essgeschirr kommt auch immer an, die "Klausner"-Beschäftigten erreichen im Gruppensog eine Form spielerischer Akrobatik. Aus der Not wird eine Tugend: Lust und Heiterkeit in der Halbverzweiflung. Axel Sichrowsky, der auf der Bühne eine Langhaarperücke trägt, in natura wie eine Kombination von Ulrich Matthes und Bernd Moss aussieht, agiert als munterer Eisverkäufer, der in Sandalen flott herumtänzelt, als habe er sich an einem Jungbrunnen gelabt. Eddie Irle als Rimbaud spielt vor allem das, was er meistens spielt: Cooler Blick, Lederhose, Macho-Allüren inklusive Sexismus. Das ist auch ein kleines Problem der Inszenierung: Die Schauspielerinnen und Schauspieler machen das, was sie am besten können. Holger Bülow verfeinert sich in einer Naivität, hinter der man jederzeit Intellekt und Bauernschläue vermutet. Und das Schwergewicht Raffael Rubino als Kruso legt einen Bulldozer hin, der mit überraschender Sensibilität, Kommunikationsfähigkeit und Aufwallungen von Humanismus versehen ist. Für Kruso ist Hiddensee kein Intermezzo, sondern eine Lebensaufgabe, gar eine Heimat, wenngleich eine sehr fragile. Als die Mauer fällt, hauen fast alle ab, nur der Herbergsvater bleibt. Zusammen mit Ed.

 

Plötzlich wollen fast alle raus

Sogar der von Christoph Hohmann verkörperte "Lagerboss" vergisst seine halbwegs wohlmeinende Gruppensprecher- und Funktionärsrolle und sucht das Weite, das ihm urplötzlich ganz nah ist. Die neuesten Nachrichten, die zur Ausreisewelle führen, werden sukzessive von Andrea Thelemann, deren unpassendes Disko-Raubtierkostüm nicht einmal diskutabel ist, vermittelt. Irgendwo in der Höhe der mit Spanplatten verkleideten Bühne (Marsha Ginsberg) ist ein antiquiertes Radio aus der jahresplannormierten Kombinatsproduktion installiert. Wir hören von anfänglichen Ausreisen, später von wahren Wellen nach Ungarn und in die Tschechoslowakei, bis letztlich die Mauer fällt. Fast niemand ist mehr zu halten, zurück bleiben die beiden Hauptdarsteller, die sich nun gegenseitig aufzubauen bemühen. Der Regisseur hat Seilers Werk die Poesie ausgetrieben – sehnsuchtsvolle, poetische Blicke gibt es nicht – und stattdessen auf eine wohlfeile Unterhaltung gesetzt. Dennoch ist die Bühnenadaption nicht unwichtig: Es gibt einiges zum Nachdenken.

Kruso
Stück von Dagmar Borrmann nach dem gleichnamigen Roman von Lutz Seiler.
Regie: Elias Perrig, Bühne / Kostüme: Marsha Ginsberg, Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Ute Scharfenberg.
Mit: Axel Sichrovsky, Raphael Rubino, Larissa Aimée Breidbach, Holger Bülow, Andrea Thelemann, Philipp Mauritz, Christoph Hohmann, Eddie Irle, Michael Schrodt.

Hans Otto Theater Potsdam

Premiere war am 15.1.2016, Kritik vom 24.1.2016
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

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