Hans Otto Theater Potsdam: Kritik von "Mirandolina" – Tobias Wellemeyer
Der Intendant und Regisseur Wellemeyer beschließt die Spielzeit mit einer leichten Komödie von Carlo Goldoni.Michael Schrodt (Diener), Wolfgang Vogler (Cavaliere di Ripafratta), Meike Finck (Mirandolina), Holger Bülow (Fabrizio) (Bild: © HL Böhme)
Verliebt, was für eine Blamage
Für die Rolle der Mirandolina kam nur eine Frau in Betracht, die a priori eine sinnliche Ausstrahlung mitbringt. Die Wahl fiel auf Meike Finck, die schon früher, in zahlreichen Nebenrollen sehr physisch aufgetreten ist und ihr körperbetontes Spiel bewusst eingesetzt hat, gerade in Angelegenheiten der Verführung. Auch in Goldonis Drama sieht man ihre kräftigen nackten Oberschenkel, die beim Wälzen auf dem Boden einen Männerköper umklammern, als wolle sie ihn nicht mehr loslassen. Den Gipfel ihrer Daseinsfreude und Selbstbestätigung erreicht Mirandolina, wenn selbst das sprödeste Männerherz ihr gefügig ist. Was sich aber als Spiel und totale Freiheit geriert – die Verführung von Männern -, ist letztlich eine Abhängigkeit, die sich als Suchtmittel erweist. Sinkt die männliche Anerkennung, so verringert sich ihr Selbstwertgefühl und beginnt der eigene Narzissmus zu schrumpfen. Cavaliere di Ripafratta ist ein harter Brocken, ein Macho, der cool auftritt, aus Prinzip unverliebt ist und nach seinen eigenen Gesetzen lebt. Die Erweichungsbemühungen beim Unangepassten zeigen prozzesual, wie sich ein bereits verschlossenes Herz allmählich öffnet. Die anderen Hotelgäste amüsieren sich königlich: Der souveräne Frauenverächter ist nach einem unverwüstlichen Eroberungsfeldzug geknackt und verliebt. Was für eine Blamage!
Holger Bülow (Fabrizio), Wolfgang Vogler (Cavaliere di Ripafratta), Meike Finck (Mirandolina), Michael Schrodt (Diener), Philipp Mauritz (Marchese di Forlipopoli)
© HL Böhme
Erheiternde Schwachsinnsaktionen
Ein zweistöckiges Gasthaus bildet das Bühnenbild. Oben sind die Zimmer der Gäste inklusive einem langen Balkon, unten die Küche und eine Art Foyer, das mit einem Flipper und einer Musik-Box ausgestattet ist. Relikte aus den 1970er-Jahren, als sei die Zeit stehengeblieben. Aus dieser Jukebox ertönen intervallartig alte Popsong, unterbrochen zuweilen von eigenem Gesang, der sich zwischen Don't be cruel, See you later, alligator und Strangers in the night bewegt. Natürlich wird auf Slapstick und komödiantische Einlagen nicht verzichtet, vor allem überbieten sich die beiden verliebten Gecken Marchese di Forlipopoli (Philipp Mauritz) und Conte d'Albafiorita (Jon-Kaare Koppe) an erheiternden Schwachsinnsaktionen. Aus Fabrizios (Holger Bülow) Küche dampft und qualmt es fortwährend, sie ist eine Experimentierstätte, aus der möglichst viele Effekte herausgeholt werden sollen. Irgendwann tauchen zwei Schauspielerinnen (Nicola Ruf, Julian Götz) auf, die sich als Adlige ausgeben und ihre Rollen so affektiert und manieriert ausfüllen, dass sie selbst für die ‚Insassen' unglaubwürdig wirken. Aber sie stellen für Mirandolina keine Gefahr dar, sie lässt sie gewähren, schließlich ist sie es, der alle zu Füßen liegen. Leider geht die aufgeblähte Großfürstin zu weit, als sie dem wie ein Knecht um Gunst bettelnden Cavaliere di Ripafratta erklärt, dass sie den krückenhaften Fabrizio heiraten werde. Wellemeyer demontiert mit leichten Mitteln eine Frau, die in ihrer Hybris glaubt, eine triumphale Seelenfängerin zu sein, aber am Ende mit leeren Händen dasteht. Aus der Macht erwächst schnell eine Ohnmacht.
Mirandolina
von Carlo Goldoni
Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Carola Gebert.
Es spielen: Meike Finck, Philipp Mauritz, Jon-Kaarre Koppe, Wolfgang Vogler, Holger Bülow, Michael Schroth, Nicola Ruf, Juliane Götze.
Hans Otto Theater Potsdam, Gasometer
Kritik vom 4. Juli 2015
Dauer: ca. 2 Stunden, 20 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)