Laura Maria Hänsel, Andreas Spaniol

Laura Maria Hänsel, Andreas Spaniol (Bild: © Thomas M. Jauk)

Scharfsinn und Verschlagenheit

Andreas Spaniols Othello, ganz auf bleich getrimmt, sieht aus wie ein Albino-Gespenst, das zu den Tagträumern und Nachtaktiven gehört. Im Vergleich zu Jago (Michael Meichßner) befindet er sich permanent im Schlafwagen, beim Erwachen ist er gleichsam noch schlaftrunken, zumal er immer einen Schritt zu langsam denkt. Jago hingegen ist die Verkörperung von Hyperaktionismus und Durchtriebenheit, ein Ausbund intellektuell gesteuerter Boshaftigkeit. Ein geschickter Täuscher, führt er mit Rafinesse, Scharfsinn und Verschlagenheit seine Winkelzüge durch, um sich Vorteile in der Gesellschaft zu verschaffen. Es scheint eine Faszination am Bösen zu geben – denn trotz allen menschlichen Ekels kommt man nicht umhin, für diesen cleveren Widerling eine stille, uneingestandene Bewunderung aufzubringen. Jago treibt Othello sogar so weit, dass er ihm mehr glaubt als seiner treuen Gattin Desdemona, die der Fremdling, der sich so gern heimisch fühlen würde, dann in einem Zustand blinder Eifersucht hinwegrafft. Er umarmt sie und drückt sie quasi zu Tode. Am Ende wird's ohnehin sehr gewalttätig und zugleich melodramatisch, unterstützt auch durch die Klaviermusik von Andreas Peschel. Zunächst tötet Othello seine Geliebte, dann wird ihr aufbrausender Vater von Jago weggräumt und schließlich macht sich der desillusionierte Feldherr, der eigenen Dummheit erliegend, freiwillig aus dem Staub. Holetzeck, von 2008 – 2017 Hausregisseur in Cottbus, liebt es anscheinend rührselig-pathetisch, anders kann man das Melodramatische am Ende nicht nennen.

 

Moritz von Treuenfels, Michael Meichßner, Pianist Andreas Peschel

© Thomas M. Jauk

 

 

Die Zurückweisung des Fremden

Das sechsköpfige Ensemble verschwindet immer wieder in den hohen Gewölbekomplexen eines vermeintlichen Palastes. Massive Betonwände unterteilen die vielen Gänge, die zum vorübergehenden Untertauchen wie geschaffen sind. Das Vorfeld der Bühne (Juan Leòn) ist weitgehend leer und liefert viel Aktionsraum. In seltenen Passagen wird auch gesungen (Joachim Berger), und das relativ schön. Was zu befürchten war, ist leider eingetreten: Holetzeck walzt die Taschentuch-Intrige mit Cassio recht breit aus, damit sie auch von den schwerfälligsten, phlegmatischsten Geistern verstanden wird. Es ist erstaunlich, wie oft Othello wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft aus einem anderen Kulturkreis desavouiert, ja beschimpft wird. Es wimmelt nur so an negativ konnotierten Kraftausdrücken, die immense Ablehnung zu Tage treten lassen. Hier glaubt Holetzeck einen Bezug zur Gegenwart gefunden zu haben: Die Zurückweisung des sich assimilieren wollenden Fremden, um sich der eigenen Identität zu vergewissern und das eigene Profil zu schärfen. Dieser etwas geistig behäbige Feldherr, so wie er inszeniert wird, hat gegen den von Ressentiments geleiteten, ausgebufften, raffinierten Gegenspieler keine Chance. Was aktuell in Potsdam anscheinend dominiert, ist ein Peymann-Stil – nur dass Peymann die besseren, professionelleren Leute zur Verfügung hatte. Es ist dies ein Theater, das von einem Großteil des Berliner Publikums nicht mehr angenommen wird. Aber im Hans Otto Theater kommt es ausgesprochen gut an: Lang anhaltender Applaus.

 

Othello

von William Shakespeare

übersetzt von Marius von Mayenburg

Regie: Mario Holetzeck, Bühne: Juan Leòn, Kostüme: Alide Büld, Dramaturgie: Reinar Ortmann.

Es spielen: Laura Maria Hänsel, Moritz von Treuenfels, Andreas Spaniol, Joachim Berger, Michael Meichßner, Jan Hallmann.

Hans Otto Theater Potsdam, Potsdam-Premiere vom 27. Oktober 2018

Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

 

Laden ...
Fehler!