Hans Otto Theater Potsdam: Kritik von "Prinz Friedrich von Homburg" - A. Charim
Premiere. Der Regisseur Alexander Charim inszeniert alles nur als Traum. Die Schlacht Brandenburg gegen Schweden ist gewonnen, aber auf den Romantiker wartet das Kriegsgericht.Nina Gummich, Moritz von Treuenfels, Eddie Irle (Bild: HL Böhme)
Der Große Kurfürst ist entschuldigt: Er muss
Der preußische Patriot Heinrich von Kleist, der offensichtlich vergessen hat, dass es unter Napoleons Gesetzen den deutschen Frauen und Juden (z.B. der erst später aus Verfolgungsgründen konvertierte Heinrich Heine) wesentlich besser ging, hat das Drama 1810 vollendet, und er hat es als Traum geschrieben, um nicht in den Verdacht zu kommen, gegen den hierarchischen Repressionsstaat schriftstellerisch zu agitieren. Der Regisseur und Nestroy-Preisträger Alexander Charim hat sich nun dermaßen in Kleist hineinversetzt, dass er glaubte, sein inszenatorisches Werk relativ originaltreu abliefern zu müssen, als mache er sich anscheinerweckend Sorgen um den aktuellen Zustand der Bundeswehr. Den für den Augen- und Ohrenschmaus gedachten Rest erledigt die Phantasie, gesättigt von etlichen Phantasmagorien. In der Tat: Moritz von Treuenfels als Homburg agiert als hilfloser Schlafwandler, der in dieser Fassung die Empfindsamkeit und Weltflucht von Sabin Tambrea (Berliner Ensemble, Regie Peymann, 10. 2. 2017) auf die Spitze treibt. Treuenfels spielt den Prinzen als Empathie erheischenden Trottel, der nur aus Zufall ein Heer befehligt und sich lieber auf amouröse Angelegenheiten kapriziert. Die Auserwählte ist die Prinzessin Natalie, die zu ihrem Oheim, den Großen Kurfürsten (Jon-Kaare Koppe), nicht sonderlich gern aufblickt, sondern nebenblickt. Wunderbar: Nina Gummich als Prinzessin, eine teils glühende, teils kalte selbstbewusste moderne Dame spielend, in die Zukunft weisend, ihrer Zeit weit voraus. Koppe, sein zurückgekämmtes wallendes Haupthaar wurde wahrscheinlich mit einem klebrigen Öl-Präparat in Fasson und Stellung gebracht, fungiert als ein unbarmherziger Herrscher, der sich an die Gepflogenheiten hält und dessen Herz im Gefrierfach gelandet ist.
Moritz von Treuenfels (Homburg), Jon-Kaare Koppe (Kurfürst), Nina Gummich (Natalie)
Foto: HL Böhme
Kuschelbedürfnis während des Desasters
Die Musik spielt in dieser Inszenierung eine gewichtige Rolle. Es sind zarte, fast spacige Keyboard-Klänge, die aus der Veranstaltung ein Melodram machen und das Publikum auf eine Reise schicken. Nur weiß es mitunter nicht, wohin. Die Herausstreichung des Militärischen ist nur vordergründig: Im Grunde ist es eine Absage an den Krieg, an das Kriegsministerium, das heute aus euphemistischen Gründen Verteidigungsministerium heißt. Es wird geschrien, umarmt und wieder geschrien. Der mit Backenbart ausgestattete, wie immer fleischoffensive Eddie Irle als Graf Hohenzollern ist ein Oberbrüller, sekundiert von Feldmarschall Dörfling (Arne Lenk) und Obrist Kottwitz (Michael Schrodt), die zwischen Weichheit und Härte oszillieren und chargieren und als bevorzugte Vasallen eine Petition für den Schlachtengewinner Homburg einreichen. Die Arme wund und versehrt, Blut hat die Erde getränkt: Doch eine beinahe zufällig gewonnene Schlacht ist nicht der Krieg. Und darauf kommt es der Obersten Heeresleitung an, die zweifelhaftes Recht vor Gnade walten lässt und Kadavargehorsam einfordert und nach langem Hin- und Herschwanken für Hinrichtung plädiert. Nun, der Regisseur hat auch anderes im Sinn. Ihm geht es mehr um das Inwendige, um das Erleben einer fatalen Situation aus dem Geist eines Seelensuchers, dessen Welt nur in der Vorstellung stattfindet. Der Alpdruck hat aber hinreißende Zutaten. Die Militärs, Outfits in knalligem Rot, dazu manchmal Blümchenhemden und Römersandalen, tragen nach einer Weile Plüschtier-Masken, die geradezu zum Kuscheln einladen. Der Krieg? Ein Märchen. Eines Menschen, der vermeintlich unter dem Asperger-Syndrom leidet, trotzdem aber die intime Nähe sucht. Nina Gummich, diesmal die Grande Dame, sagt zum Schluss: Alles nur ein Traum. Wir vergessen die Schlachtereien und fliegen ein wenig.
Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich von Kleist
Regie: Alexander Charim, Bühne: Ivan Bazak, Kostüme: Amit Epstein, Komposition: Michael Rauter, Andi Thoma, Dramaturgie: Ute Scharfenberg.
Besetzung: Jon-Kaare Koppe, Nina Gummich, Eddie Irle, Michael Schrodt, Arne Lenk, Moritz von Treuenfels, Andrea Thelemann.
Hans Otto Theater, Premiere vom 7. Oktober 2017
Dauer: ca. 1 Stunde, 50 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)