Das Ensemble als Baugemeinschaft

Das Ensemble als Baugemeinschaft (Bild: © HL Böhme)

Nach ersten Konflikten nimmt die Komödie an Fahrt auf

Ludger (Peter Pagel), Professor für Soziologie, wirkt wie ein pater familias, ein Gemeinschaftsoberhaupt, das aufgrund eines unausgesprochenen Einvernehmens kraft seiner Autorität als obere Instanz fungiert. Obwohl ohne Macher-Qualitäten ausgestattet, scheint er mit seiner PR-Frau Vera (Melanie Straub) den Laden zusammenzuhalten. Wegen einer vergleichsweise hohen Finanzkraft im Rücken ist auch Ludger der Erste, der um einen Zuschuss von 30 000 Euro gebeten wird, und zwar vom Assistenzarzt Christian (Florian Schmidtke), der seiner im zweiten Staatsexamen befindlichen Gattin Mila (Zora Klostermann) aus Versehen ein zweites Kind angedreht hat. Der überraschende Nachwuchs und die damit verbundenen pekuniären Komplikationen markieren den ersten Auslöser – und prompt nimmt die bis dahin dahinplätschernde Komödie an Fahrt auf. Zunächst glaubt man nämlich in einem sehr durchwachsenen Gesellschaftspanorama zu sitzen, mühsam entrollt und etwas zäh vor sich hinfließend. Es wird über Unwesentliches parliert und unterschwellig herumeuphorisiert – und chargiert, was das Zeug hält. Vor allem Zoras Klostermanns Gesichtsmuskeln sind in Dauerbetrieb, auch die Bühnenkollegen bemühen sich um eine effekthascherische Spielweise. Elf Schauspieler stehen auf der Bühne und man hat unwillkürlich den Eindruck, als liege der Ehrgeiz des Projekts in einem lockeren Unterhaltungstheater, bestenfalls geeignet für einige aus dem Publikum herausgelockte Lacher.

 

Peter Pagel, Florian Schmidtke, Zora Klostermann

© HL Böhme

 

Ästhetische Ansprüche und Pädophilie

Etwa nach einer halben Stunde scheint Lutz Hübner bei der Niederschrift des Dramas einen Adrenalinschub erhalten zu haben. Ob er zu einem amphetaminhaltigen Stimulansmittel gegriffen hat, bleibt im Ungewissen, jedenfalls beginnt er die Handlung zu forcieren und einen Spannungsbogen aufzubauen. Und siehe da, die Dialoge werden zackiger, frischer, schärfer konturiert. Und verwegener. Die ersten Streitereien tauchen auf, nicht zuletzt weil es einigen Beteiligten um das soziale Miteinander geht, um Idealismus und die Realisierung einer Utopie, anderen hingegen um das ungestörte Ausleben des Individualismus, um die Kapitalanlage und die Erwartungen, die daran geknüpft sind. Dem von Friedemann Eckert gespielten Architekten Philipp schwebt eine urbane Ästhetik vor, bei der das kollektive, unfunktionale Wohnen durch bauliche Extravaganzen eine besondere Weihe erhalten soll. Leider hat er auch einen Trieb, einen pädophilen obendrein, und der möchte sich ungestüm Luft verschaffen, ausgerechnet bei der 17-Jährigen Tochter der Mitkombattanten Holger und Birgit (René Schwittay und Meike Finck). Die wissen die erotisch gefärbte Intervention in ihr Familienleben überhaupt nicht zu schätzen. Und die elitäre, society-affine Vera hat eminente Schwierigkeiten mit der einzugswilligen Außenseiterin Charlotte (Rita Feldmeier), die noch in einer verwahrlosten Wohnung haust.

 

Das Ensemble: Letzte Eintrachtbemühungen

© HL Böhme

 

Nützlichkeit versus gehobenem Lebensstil

Hübner lässt das Geschehen allmählich eskalieren, und Isabel Osthues, einst Hausregisseurin im Schauspielhaus Zürich bei Christoph Marthaler, bringt das recht geschickt auf die Bühne. Stark ist diesmal Peter Pagel, der in die Rolle des abgeklärten Professors förmlich hineingeschlüpft ist. Melanie Straub als gehobene Gesellschaftsfrau, stets auf monetäre Kompetenz achtend, ist der eigentliche Antriebsfaktor der wachsenden Zerrüttung. Während die weniger Kapitalträchtigen ans Sparen denken und eher auf Nützlichkeit bedacht sind, will sie ihren prätentiösen Lebensstil nicht missen. Das Bauwerk, eine Art Containerherrlichkeit? Nein, das macht der ästhetikversessene Architekt nicht mit, und erst recht nicht Vera, die sich als Zahlmeisterin vorkommt, und damit automatisch der Gatte. Die Utopie schmilzt dahin, mündet in ein Desaster, in wüste Beschimpfungen, in gegenseitiges Bewerfen und Bespritzen. Lutz Hübner hat ein hochaktuelles Thema herausgegriffen, zumal Baugemeinschaften ein relativ modernes Modell sind, das die Wohngemeinschaften der 70er-Jahre abgelöst hat. Leute, die sich heute zu solch einem Schritt entschließen, sind zumeist links orientiert, aber dem Mittelstand zugehörig, finanziell einigermaßen saturiert und sogar Teil des Gentrifizierungsprozesses. Deshalb werden die utopieorientierten, bauwilligen Linken heute oftmals von den finanzschwachen politischen Linken angefeindet. Ein paar Worte noch zum Programmheft: Derartige Druckwerke sind manchmal nur Beilagen, die den Inhalt der Inszenierung nur streifen und keine wesentlichen Hintergrundinformationen hinzufügen. Diesmal ist dem Hans Otto Theater (Redaktion Nadja Hess) ein Heft mit durchweg interessanten Beiträgen gelungen. Die Inszenierung durchläuft einen verblüffenden Wandel: Nach schwachem Beginn steigert sie sich zu einem zufriedenstellenden, ja wirklich guten Theater.

Richtfest

von Lutz Hübner

Regie: Isabel Osthues, Bühne: Jeremias Böttcher, Kostüme: Masche Schubert, Dramaturgie: Nadja Hess.

Mit: Peter Pagel, Melanie Straub, Eddie Irler, Wolfgang Vogler, Janina Stopper, René Schwittay, Rita Feldmeier, Meike Finck, Friedemann Eckert, Zora Klostermann, Florian Schmidtke.

Hans Otto Theater Potsdam

Premiere vom 17.Oktober 2014

Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

 

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