Hannah Müller (Lieschen), Eddie ...

Hannah Müller (Lieschen), Eddie Irle (Student), Zora Klostermann (Gretchen), Meike Finck (Marthe), Michael Schrodt (Wagner) (Bild: © HL Böhme)

Omnipotenzansprüche führen zur Zwergenhaftigkeit

Philosophie, Theologie, Medizin und Jura – das rauchende Gehirn ist in eine Sackgasse geraten. Faust (René Schwittay) wollte die Natur beherrschen, wird aber von ihr beherrscht, da helfen auch keine Magie und kein Erdgeist. Seine anvisierten Omnipotenzansprüche führen zur Zwergenhaftigkeit - und Sokrates lässt grüßen: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Michael Schroth als der Famulus Wagner ist gut an der im fahlen Licht immer noch glänzenden Glatze zu erkennen. Der, zum lebenslänglichen Wissenshungrigen wie geschaffen, möchte endlos weiterlernen, dabei möchte der Meister ausbrechen. Aus der Haut fahren. Möchte sich auswickeln, zum innersten Kern vorstoßen und den Kopf partiell ausklinken. René Schwittay, geeignet für Raubein-Rollen wie Stanley Kowalski in "Endstation Sehnsucht", kämpft mit sich selbst, also auch mit dem angeklebten Mephisto (Holger Bülow) – und rettet sich in die Liebe.

 

In die Liebe hereingeschlittert

Gretchen (Zora Klostermann) ist eine hochreligiöse Betschwester, konsequenterweise spricht Faust sie nach einer Beichte an. Sie hat frühzeitig ihr Pulver verschossen – nach ihrer Inhaftierung hat sie noch genug Zeit zum Ablegen von Bekenntnissen und selbstmitleidigen Geständnissen. Wer Zora Klostermann bislang nur in Nebenrollen gesehen hat, wundert sich, was sie alles auch sich herausholen kann, wenn man ihr die Gelegenheit gibt. Für die Schmuckgeschenke kann sie nichts, erst recht nichts für den ihrer Mutter verabreichten tödlichen Schlaftrunk – aber der Mord an ihrem Baby ist nicht zu verzeihen. Hier liegt alles schon in Schutt und Asche. Dabei ist sie, die quasi Unschuldige, in die Liebe hereingeschlittert, ohne sie mit psychischer Gewalt heraufzubeschwören. Es hat sie überkommen – oder wollte sie mit einem Arrivierten zum weiblichen Parvenü aufsteigen? Nun, eine Karrieristin ist sie wie wohl nicht, sie ist zu tief verwurzelt im Kirchen-(Alb-)Traum.

 

Mephisto als Mitkämpfer und Gegenspieler

Gretchens Freundin Marthe wird von Mephisto mitgeteilt, dass ihr Mann verstorben sei, damit Gretchen und Faust ohne Störung unter sich sind. Meike Fink, gut im Futter stehend, aber nicht mollig, spielt ihre Rolle als Marthe gewohnt sinnlich und fleischlich orientiert, versetzt mit kleinen Femme-fatale-Allüren. Fatal hingegen ist diese selbstzerstörerische Liebe eines ungleichen Paars, dessen Gegensätze so groß sind, dass sie sich auch abstoßen: Sie moniert sich unter anderem über seine Unreligiosität. Insgesamt haben sich Alexander Nerlich und sein Kompagnon Wolfgang Menardi (Bühne & Kostüme) ein Stück ausgesucht, das seine Zuflucht im Sinnlichen und Übersinnlichem sucht und aus lauter Geisteskämpfen besteht. Mephisto, das nicht abzuschüttelnde zweite Ich, ist Mitkämpfer und Gegenspieler zugleich. Mit August von Platen kann man sagen: Wer die Schönheit angeschaut mit Augen/Ist dem Tode schon anheimgegeben. Goethe hat in seinem Frühwerk eine regelrechte Todesmystik entfaltet. Keine grandiose, aber eine ansprechende Inszenierung. Schade nur, dass wegen der katastrophalen Infrastruktur so wenig Berliner nach Potsdam kommen.

Urfaust
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Alexander Nerlich, Bühne und Kostüme: Wolfgang Menardi, Musik und
Sounddesign: Malte Preuß, Choreographie: Anja Kożik, Dramaturgie:
Helge Hübner.
Es spielen: Zora Klostermann, Eddie Irle, René Schwittay, Holger Bülow, Meike Finck, Michael Schrodt, Hannah Müller, Friedemann Eckert.

Hans Otto Theater Potsdam
Premiere vom 24. Januar 2014
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: alle Fotos © HL Böhme

 

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