Ein Dirigent erobert ein Dorf

Das Hans Otto Theater hat diesmal viel Musik, viel Kulisse und einen hervorragend aufgelegten Pykniker zu bieten. Raphael Rubino, wie immer kräftig und überkompakt, spielt den in rustikale Gefilde abgewanderten Dirigenten, der jenseits der Musik etwas naiv auf die Welt blickt und geradezu tollpatschige Handlungsweisen an den Tag lebt. Beim Erlernen des Radfahrens stellt er sich an wie ein Dorftrottel kurz vor dem Alzheimer-Stadium. Ein leicht weltfremdes Genie, das den Zugang zu Menschen – und Seelen – nur über den Umweg Musik findet. Für das fragwürdige Heil der Seelen ist übrigens der extrem frömmelnde Dorfpfaffe Stig (Wolfgang Vogler) zuständig, der in Anbetracht des um sich greifenden Musiküberschwangs um den Einfluss seiner Kirche fürchtet. Etwas nervtötend ist das riesige Kruzifix, das ständig auf- und abgehängt wird. Es ist dies ein Symbol für Machtverschiebungen und Stimmungsänderungen im Dorf, aber eine kleinere Version der Leiden Christi hätte es auch getan.

Eintrachtgefühl im Dorfkollektiv

Der Kurier des heiligen Stuhls hat auch eine Gattin: Inger (Melanie Straub). Ihre Sinnlichkeit wird betäubt von den Glaubensbotschaften des unerbittlich christlichen Gemahls, der ihr eine halbe Zwangsjacke verpasst hat, aus der sie ausbrechen möchte. Mangelnde Zuwendung und notorischer Liebesentzug führen zu Exaltationen des Inneren. Sie entdeckt nicht ihre Sinnlichkeit, sie hat ihre stillen Obsessionen nur lange mühsam unter Verschluss gehalten. Ihr Herz ist voller, als das Dorf es zulässt. Melanie Straub bringt den Wunsch nach Entäußerung, innerer Befreiung und Liebessehnsucht authentisch rüber. Eine Teilerlösung, ein Aufgehen in der Gemeinschaft findet sie in der Musik. Der Einklang der Stimmen, das gleichsam magische Ineinanderklingen der Töne! Selbst ein geistig Behinderter (Alexander Finkenwirth), mitunter völlig neben sich selbst agierend, erlebt ein Eintrachtgefühl im Dorfkollektiv. Und Daniel Daréus ist kein Zampano, kein Zeremonienmeister, sondern jemand, der an seine Vision, an seine Utopie glaubt. Nur für den Dorfpfarrer ist das Chor-Unternehmen eine Rebellion, eine Dystopie: er verbietet den Chor in seiner geweihten Halle. Der probt allerdings im privaten Gelände weiter, im Wohnzimmer von Daniel. Es wird gesungen, von unendlichen, von großen und kleinen Dingen wird gesungen, unter anderem Lieder von Heinrich Isaac, Frank Schubert und Johannes Brahms.

Im Vordergrund: Raphael Rubino und ...

Im Vordergrund: Raphael Rubino und Melanie Straub (Bild: © HL Böhme)

Musik schweißt zusammen

Krawallos gibt es auch im Dorf, in Gestalt von Conny (Florian Schmidtke). Der Regisseur Otteni lässt ihn als rabiaten Halbrocker auftreten, der, in einem T-Shirt von Rock-am-Ring steckend, aus puren Machtansprüchen und sadistischer Lust seine Frau verprügelt. Die Schlagseite der Gemeinschaft - und Zora Klostermann hat einen roten Fleck im Gesicht. Doch das Harmoniegefühl ist überwältigend, die Musik schweißt zusammen, man erhält eine Einladung zu einem Gastspiel, man reist in Ausland. Lena erlebt einen zweiten Frühling, nicht zuletzt, weil sie die Seele des Meisters erobert hat. Elzemarieke de Vos, die früher in der Berliner Schaubühne meist nur Nebenrollen erhielt, bekommt in Potsdam mehr Freiraum und kann sich wesentlich besser in Szene setzen, nicht nur, weil sie sich zum wiederholtem Mal im Bikini zeigt, wie ein übersehenes Strand-Model. Wie die Figur aufblüht, als sei ihr eine neue Welt erschlossen worden! Und der Chor singt, als wolle man mit der Musik auch das Publikum zusammenschweißen. Was teilweise auch gelingt. Trotz einer gewissen Langatmigkeit und einigen Wiederholungen ist Stefan Otteni ein großer Theaterabend in Potsdam gelungen.

Wie im Himmel

Von Kay Pollak

Regie: Stefan Otteni, Musikalische Leitung: Bettina Ostermeier, Bühne + Kostüme: Anne Neuser, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi.

Mit: Melanie Straub, Elzemarieke de Vos, Raphael Rubino, Rita Feldmeier, Susi Wirth, Wolfgang Vogler, René Schwittay, Michael Schrodt, Zora Klostermann, Florian Schmidtke, Moritz Klaus/ Juri Starke, Christian Deichstetter (Klavier).

Hans Otto Theater Potsdam

Premiere vom 27. September 2013

Dauer: 3 Stunden, eine Pause

Bildnachweis: alle Fotos © HL Böhme

 

Das Ensemble

Das Ensemble (Bild: © HL Böhme)

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