Hartz IV – igitt! Wie gut, dass mir das nicht passieren kann! ... Schön wär's!

Leider trifft es nicht nur faule Säcke. Es trifft vor allem alte Säcke, egal, ob faul oder nicht, egal, ob qualifiziert oder nicht. Wobei "alt" mit Mitte vierzig anfängt. Mit Mitte sechzig avancieren die Alten, ach nein, die "Älteren", dann zu "Junggebliebenen". Denn dann will man schließlich wieder was von ihnen, nämlich ihr letztes bisschen Geld.

Aber zurück zu den Säcken, den faulen und den fleißigen. Den jungen und den alten. Ja, auch junge Säcke trifft es. Säcke, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben und für die nun kein Bedarf mehr in der Firma besteht. Säcke, die gerade ihr Studium, vorzugsweise einer geisteswissenschaftlichen Richtung, beendet haben und für die überhaupt noch nie Bedarf bestand. Säcke, die nach dem dritten unbezahlten Praktikum erstmals eine bezahlte Arbeit suchen und feststellen, dass es für sie keine gibt. Denn wer umsonst arbeitet, ist nichts wert. Warum sollte man den bezahlen? Er wird bald wieder umsonst arbeiten, nur wird er sich dann die Arbeit nicht mehr aussuchen können.

Alltag im Jobcenter

Die Säcke sitzen auf abwaschbaren Stühlen aus Metalldrahtgeflecht und warten auf die Antragsausgabe. Oder sie stehen im hinteren Drittel einer 30 Meter langen Schlange vor dem Schalter, an dem sie ihr Anliegen vorbringen dürfen. Leider ist es schon Viertel vor zwölf, und um zwölf schließt der Schalter. Da werden sie morgen wiederkommen müssen. Ach nein, morgen ist ja Mittwoch, da bleibt der Schalter ganz geschlossen. Da haben einige von ihnen Pech gehabt, denn morgen läuft eine wichtige Frist ab, die sie nun nicht mehr einhalten können. Da gibt's im nächsten Monat erst mal kein Geld.

Andere sind glücklicher dran. Sie sitzen in Plastikschalen im Warteraum, der an einen langen Gang mit dicken verschlossenen Glastüren grenzt. Sie warten darauf, dass sie aufgerufen werden. Ab und zu öffnet sich eine Tür, eine gebeugte Gestalt huscht heraus und trollt sich so schnell wie möglich von dannen, ihr Begleiter bleibt in der Tür stehen und ruft laut einen Namen. Darauf erhebt sich einer der Wartenden und verschwindet hinter der Glastür.

Alle Auflagen erfüllt?

Drinnen sitzt er vor seinem Richter.

"Herr Schlamas, wir hatten ja vereinbart, dass Sie sich auf sechs verschiedene Stellen bewerben wollten, darunter drei Zeitarbeitsfirmen. Haben Sie die Nachweise dabei?"

Der Angesprochene holt eine Mappe mit einigen Blättern hervor, zwei davon mit bunt geschmücktem oberen Rand. Der Richter nimmt die Mappe entgegen, schaut kurz auf die weißen Blätter ohne bunten Rand.

"Ja, Herr Schlamas, ich habe den Eindruck, dass bei Ihren Bewerbungen noch Optimierungsbedarf besteht. Ich habe Sie da mal für eine Maßnahme vorgemerkt, die läuft über sechs Monate, da werden Sie intensiv betreut. Da können Sie auch gleich Ihre beruflichen Kenntnisse auffrischen, außerdem gehört zu der Maßnahme ein vierwöchiges Betriebspraktikum. Den Betrieb dürfen Sie sich aussuchen."

Herr Schlamas sitzt da wie ein Häufchen Elend. Das ist nun schon das dritte Bewerbungstraining in zwei Jahren. Und er hat noch sieben Jahre bis zur Rente.

Andere versuchen sich zu wehren. Sie sehen nicht ein, dass sie ihre restliche Lebenszeit in Aufbewahrungsmaßnahmen verbringen sollen, die nur den Trägergesellschaften nützen. Arbeitslose IT-Fachkräfte lernen dort, wie man mit einem Computer umgeht, und die ersten Schritte in einem Textverarbeitungsprogramm. Einer von ihnen, Herr Assel, wurde in der Maßnahme gleich als Dozent für die nächste Gruppe verpflichtet. Auf selbstständiger Basis, versteht sich, nicht etwa fest angestellt. Vier bis sechs Stunden, an zwei oder drei Tagen der Woche, zu einem Stundenhonorar von wenig mehr als zehn Euro. Damit bleibt der Glückliche auf jeden Fall dem Zugriff des Jobcenters unterworfen, wird weiterhin zum Schreiben von sinnlosen Bewerbungen gezwungen. Unter Umständen sogar zum Besuch einer weiteren Maßnahme an den restlichen Tagen der Woche. Wann er seine Dozententätigkeit vorbereiten soll, ist dem Jobcenter egal.

Selbstständige „rechnen sich arm“

Seiner Bekannten, Frau Desa, geht es nicht viel besser. Sie unterrichtet Englisch an einem privaten Bildungsinstitut, für 13,50 Euro die Stunde. Die Vorbereitungszeit für den Unterricht ist im Preis inbegriffen. Da niemand acht Stunden am Tag an fünf Tagen in der Woche unterrichten kann, reicht das Geld, das sie verdient, natürlich nicht zum Leben. Als Selbstständige muss sie die vollen Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung selbst zahlen, wobei ein Mindestverdienst zugrunde gelegt wird, den sie in Wirklichkeit gar nicht zur Verfügung hat. Deshalb bearbeitet sie nebenher Text- und Übersetzungsaufträge. Sie durchkämmt verschiedene Portale im Internet, auf denen solche Aufträge ausgeschrieben werden. Der Lohn wird in Cent pro Wort berechnet. Da kommen noch mal ein- bis zweihundert Euro pro Monat zusammen, wenn sie Glück hat. Dafür arbeitet sie fast ununterbrochen, Freizeit kennt sie nicht mehr.

Aber das ist ihr lieber, als wieder in die Fänge des Jobcenters zu geraten, wie es ihrer Freundin Rosa Aster ergangen ist. Auch die schreibt Artikel für eine Onlinezeitung und verschiedene Blogs im Internet, außerdem programmiert sie Webseiten. Leider musste sie sehr schnell einsehen, dass ihr Verdienst nicht zum Überleben reicht, deshalb ist sie nun selbstständige Hartz-IV-Aufstockerin, da wird ihr wenigstens vom Jobcenter die Krankenversicherung bezahlt. Aber der Preis dafür ist hoch. Einmal pro Monat erhält sie eine Vorladung, dann macht ihr die Sachbearbeiterin dort die Hölle heiß. Wann sie denn nun endlich nicht mehr hilfebedürftig wäre, da seien ja überhaupt keine Fortschritte zu verzeichnen, so ginge das ja nicht weiter,

Frau Aster weiß schon nicht mehr, was sie darauf antworten soll, alle Ausreden hat sie schon durch. Ein größerer Werbeetat, mit dem sie vernünftige Flyer für ihr Angebot drucken lassen wollte, wurde ihr nicht bewilligt. Ebenso wenig wie ein neuer Computer, obwohl ihrer schon zehn Jahre alt ist und in letzter Zeit dauernd abstürzt. Nein, solange ihr PC noch funktioniere, brauche sie keinen neuen, hieß es. Wenn er wirklich endgültig kaputt sei, müsse sie das nachweisen. Und dann dürfe der neue höchstens 300 Euro kosten, das würde für ihre Zwecke ausreichen. Frau Aster hat keine Ahnung, wo sie einen PC für 300 Euro herzaubern soll. Auf den Homepages, die sie programmiert, müssen häufig Videos und interaktive Spiele eingebunden werden, und selbst die simpelsten Anwendungsprogramme verschlingen immer mehr Speicherkapazität. Kein Wunder, dass ihr altersschwacher und überforderter PC ständig streikt.

Krank durchs Jobcenter

Auch sie selbst ist überfordert. Jede Vorladung vom Jobcenter kostet sie mehrere Arbeitstage. Es sind ja nicht nur die paar Stunden, die der Termin selbst beansprucht. Schon Tage vorher hat sie nervöse Magenschmerzen, und nach dem Termin braucht sie drei Tage, um sich wieder davon zu erholen. Sie kann gar nicht mehr nachrechnen, wie viele Aufträge und damit auch Einkünfte sie wegen dieser Termine schon verloren hat. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll. Beim letzten Termin hat ihre Sachbearbeiterin ihr ein Ultimatum gestellt: "Entweder Sie schaffen es, innerhalb von drei Monaten Ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden, oder ich werde Sie einer Maßnahme zuweisen, durch die Sie in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vermittelt werden."

Frau Aster hat durchaus nichts gegen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Nichts wäre ihr lieber. Endlich wäre der Stress vorbei. Kein Jobcenter mehr, keine Buchführung mehr, nicht mehr die ständige Sorge, ob sie diesen Monat ihre wichtigsten Rechnungen bezahlen kann, nicht mehr die Sorge, ob Kunde XY seine Rechnung auch bezahlen wird. Aber sie weiß aus Erfahrung, dass sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hat. Nach einer langen Familienpause gilt ihr Fachwissen als veraltet. Zwar hat sie sich in Eigeninitiative stets auf dem Laufenden gehalten, aber das interessiert keinen Arbeitgeber. Es gibt ja genügend Frischfleisch, das ist außerdem billiger und anspruchsloser. Da wäre jeder Arbeitgeber dumm, wenn er nicht zugreifen würde.

Namen und Lebensverhältnisse der Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Lebensumständen sind jedoch nicht zufällig, sondern unvermeidlich.

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