Hebbel am Ufer bei Nacht

© Steffen Kassel

 

Aus Menschen werden Weichziele

Das Bühnenbild ist schlicht und ohne irritierende Verbrämungen. Man kommt sich vor wie in einem Industriekomplex: Der Raum ist parzelliert durch blecherne Wände, die als Paravents fungieren. Armin Wieser, geschniegelt und mit scheinbar durchtriebenem Scharfsinn ausgestattet, spielt den allwissenden Sachverständigen und Geschäftsprofi in Reinkultur. Lajos Talamonti, Industrieguru ondulierte Schwarztolle, trägt eine förmliche Fliege und scheint ebenso gewieft zu sein. Und Judica Albrecht tritt ausgesprochen souverän auf, als sei sie jedem noch so fragwürdigen Sektempfang jederzeit gewachsen. In einem feuerroten Kleid steckend hält Katrin Kaspar einen Spielzeug-Panzer in der Hand, als handele es sich um ein zerbrechliches Vögelchen, für das sie ihr gesamtes Kontingent an Zartgefühl aufbringt. Die Schauspieler müssen nicht Theater spielen, ihre Rolle ist die Deklamation, das Referieren und Repräsentieren. Längst haben sie sich einer euphemistischen Sprache bedient: Menschen gibt es in ihrer Fachsprache nicht, sie werden durch was Wort ‚Weichziele" ersetzt, und die haben bekanntlich auch Weichteile, die bei einem Kräftemessen unter Umständen getroffen werden. Ähnlich wie Politiker verfügen die Rüstungsvertreter über das Talent, unangenehme Fragen nicht zu beantworten oder sie wortgewaltig zu umschiffen. Sie sind von ihrer Mission schon derart durchdrungen, dass sie nicht mehr an ihrer waffentechnischen Versorgungsindustrie zweifeln. Kurbeln wir nicht die Wirtschaft an? Haben wir nicht etliche Arbeitsplätze geschaffen?

 

HK G36, Sturmgewehr der Bundeswehr

© Wikipedia/Dcoetzee

 

 

Firmenfeiern geraten zu leidenschaftlichen Selbstglorifizierungen

Neben Altkanzler Helmut Schmidt darf auch Sigmar Gabriel zu Wort kommen, schließlich unterliegt das Kriegswaffenkontrollgesetz dem Bundeswirtschaftsminister, dessen Genehmigungsbehörde den Waffenexport lenkt. Der Bundespykniker sagt nicht viel; den Rüstungsgegnern ist er zu gutmütig, den Rüstungsverfechtern ein zu scharfer Hund. Die Jubiläen und andere öffentliche Veranstaltungen der Kriegsexporteure geraten zu Selbstfeiern, bei der die eigene Erfolgsgeschichte in höchsten Tönen gepriesen wird. Nichts an dieser Aufführung ist Fiktion, die Fakten und Daten der Firmen wurden von den Theatermachern akribisch gesammelt und sortiert und das verwertbare Material landete auf der Bühne. Das 125-jährige Jubiläum von Rheinmetall läuft, abgesehen von markigen Reden, eher unspektakulär und bescheiden ab, die Zuschauer müssen sich die knallenden Sektkorken und die theatralischen Effekte hinzudenken. Die Rüstungsindustrie, erfahren wir, ist in machen Regionen besonders hoch konzentriert, gerade am idyllischen Bodensee ist ein sehr dichtes Firmennetz. Viele Fragen werden nur gestellt, ohne eine Lösung in Aussicht zu stellen – was passiert beispielweise mit den Waffen, die an die kurdischen Peschmerga geliefert wurden? Nach dem Krieg werden sie wohl kaum verschrottet. – Was allerdings im Zuge eines Drohnenkriegs passiert, zeichnet sich schon relativ klar ab. Der herkömmliche, konventionelle Krieg wird radikal verändert. An die Stelle von Armeen, die sich gegenüberstehen, treten ferngesteuerte, "unbemannte" Luftfahrzeuge, die direkt ihr Ziel ansteuern. Da es nun keine auszumachenden gegnerischen Streitkräfte mehr gibt, drohen terroristische Angriffe auf die Zivilbevölkerung.

Exporting War
von Hans-Werner Kroesinger
Konzept / Regie: Hans-Werner Kroesinger, Raum und Kostüm: Valerie von Stillfried, Licht: Thomas Schmidt, Dramaturgie / Recherche: Regine Dura.
Mit: Lisa Scheibner, Armin Wieser, Judica Albrecht, Katrin Kaspar, Lajos Talamonti.

Hebbel am Ufer

Premiere: 3. Dezember 2014
Dauer: ca. 100 Minuten, keine Pause

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