Unverbrüchlicher Humanismus

Armin Wieser agiert wie jemand, der mit einem leicht überhitzten Gemüt ausgestattet ist und einen Tee – oder Härteres – zur Stabilisierung seiner Nerven benötigt. Zwar hat er keine Haut nach Art von gegerbtem Leder, aber er wirkt wie ein schlachtenerprobter Seebär, den man im Frühpensionärsstadium in einen Anzug gesteckt hat. Weitaus gelassener gibt sich Lajos Talamonti, der eine Geistesart besitzt, an der selbst die schärfsten Gegenargumente abprallen. Trotz seines wiederholt aufgesetzten Nirwana-Gesichts ist er keine wandelnde Inkarnation von Gleichmut. Manche nordafrikanischen Regionen sind vollständig gesperrt und mit hochgezogenen Stacheldrahtzäunen abgesichert, doch davon wollen die EU-Agenten wenig wissen: Man menschelt lieber. Und zeigt seinen unverbrüchlichen Humanismus, indem auf Menschenrettungsaktionen verwiesen wird. Kein Wort vom tatenlosen Zusehen beim Ertrinken der Andersverwurzelten, von Rückführungsplänen und Sammelabschiebungen.

 

Potenzierung der Schiffchen

Schon im ersten Teil erprobt Sina Martens ihr Talent im Bauen eines Schiffchens. Dieser silbern-metallische Glanz – ist es harte Aluminiumfolie? – könnte jedes Kinderherz höher schlagen lassen. Der zweite Teil geht auf der Hinterbühne weiter und zaubert eine Potenzierung der Schiffchen herbei. Eine serielle Herstellung, in einem Maße, wie sich die eingesetzten Überwachungsroboter, Beobachtungskameras und Drohnen vermehren. Vielleicht ist das Frontex-Logo – drei gekrümmte Querstreifen in Himmelblau, Hellgrün und Dunkelblau – bald in einigen Haushalten zu finden. Auf Kaffeetassen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, die EU-Agenten mit dem Hauptsitz in Warschau müssen die Öffentlichkeitsarbeit ausweiten und die PR-Maschine mit menschenfreundlichen Thesen ankurbeln.

 

EU-Strategie zur Festigung der Festung

Nicht, dass über sinkende Schiffe geschwiegen würde. Die Problematik ist auch den Experten nicht entgangen. Im zweiten Teil sitzt das Publikum in Hufeisenform um die Schauspieler herum, in einer Sitzordnung, die früher von experimentierfreudigen Lehrern in Klassenräumen eingeführt wurde. Nun wird auf improvisierten Plastiktischen weitergespielt. Man spielt Schiffe versenken, umschifft kleine Löcher und lässt die Bastelteile schließlich reinfallen. Als ausgesprochen intensive Dreingabe sind auch noch Bauklötze zu bewundern. Symbole für Bau und Weiterentwicklung der EU-Strategie zur Festigung der Festung Europa? Die jüngste Teilnehmerin Sina Martens (Jahrgang 1988) zeigt sich besonders engagiert: Feuereifer bei der an juvenile Tage erinnernden Spielwut, als gelte es, die Unschuld des Werdens zu verkörpern. Überhaupt nimmt der zweite Teil an Fahrt auf, gelegentlich bauen sich die Schauspieler einzeln vor einem Zuschauer auf, um auf ihn einzureden. Frontex-Frontal. Einmal steht Judica Albrecht dicht vor Sina Martens, als wolle sie ihr die Leviten lesen. Das eigentliche Problem aber ist Griechenland, die Einfallspforte für Flüchtlinge. Die vielen Inseln sind kaum zu kontrollieren, und mit Entsetzen musste Ex-Bundesinnenminister Friedrich ein starkes Anwachsen der Flüchtlingsquote konstatieren. Doch die EU-Agenten und Ingenieure arbeiten an der Technik. Noch ist Europa nicht verloren.

FRONTex SECURITY
Regie / Konzept: Hans-Werner Kroesinger, Bühne / Kostüme: Valerie von Stillfried, Sound / Musik: Daniel Dorsch,Dramaturgie / Recherche: Regine Dura, Licht: Thomas Schmidt.
Mit: Sina Martens, Armin Wieser, Judica Albrecht, Lajos Talamonti, Gesang: Yuka Yanagihara.

Hebbel am Ufer

Premiere vom 13.Dezember 2013

Dauer: ca. 120 Minuten, keine Pause

Foto: @ Steffen Kassel

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