HAU 1: Kritik von "Idealisten" – Schauplatz International/raumlaborberlin
Eine Berlin-Premiere mit viel Slapstick. Eine eigenwillige Konstruktion, die in den Raum greift, wird errichtet.Hebbel am Ufer (HAU 1) (Bild: © Schlesinger/Wikipedia)
Zwischen Filigrantechnik und zurückgehaltener Ruppigkeit
Schauplatz International gibt es schon seit 1999, und die Inszenierung "Idealisten" war schon in Mühlheim und Basel, bevor sie nach Berlin gewandert ist. Komik und ins Lächerliche getriebener Exhibitionismus gehören zum Kunstgeschäft der klamaukbegeisterten Schauspieler, die sich diesmal als Installateure profilieren. Ihre Bühnenarbeit oszilliert zwischen Filigrantechnik und zurückgehaltener Ruppigkeit, die jederzeit ins Drollige oder Absurde abgleiten kann. Es ist eine eigenwillige Konstruktion, die da entseht, wahrscheinlich, um sich selbst zu glorifizieren. Oder es wird, wie der Programmbroschüre zu entnehmen ist, ein Denkmal für den Idealismus errichtet. Die Architekten von raumlaborberlin sorgten für den Bauplan. Der Aufbau des Gebildes erinnert an den Turmbau von Babel, der als Symbol der menschlichen Hybris gilt: Nachdem das Spezial-Kunstwerk steht, wird es sofort wieder abgetragen. Die Megalomanie ist beendet, die Sisyphos-Arbeit beginnt.
Elegante, clowneske Demontage
Heftig und unabwendbar perlt der Schweiß. Anna-Lisa Ellend trägt mittlerweile eine Ritterrüstung, das Schwert fest in der Hand. Unter dem Panzer schimmert weinrote Kleidung hindurch, die Mobilitätseinschränkungen nimmt sie gerne in Kauf. Aus dem Hampelmann-Abbau können die Zuschauer einen gewissen Genuss ziehen, Jerry Lewis & Co. lassen grüßen. Wer schon immer ein Freund von Abrissarbeiten war, muss sich allerdings mit einer halbwegs eleganten Demontage zufriedengeben. Als besonderer Spezialist erweist sich Martin Bieri, dessen Klappstuhl immer wieder einknickt, fällt und ein bequemes Sitzen unmöglich macht. Nach dem gefühlten 15. Versuch steht der Stuhl endlich, der sich im Elektrisieren versuchende Martin Bieri sitzt. Immerhin, sein Stuhl im Ensemble wackelt noch nicht, er kann loslegen mit Schweigen und ein wenig Kommunikation. Die Zuschauer werden aufgefordert, sich zu erheben, sich wieder zu setzen und sich schließlich an die Nase zu fassen. Meine Sitznachbarin gibt mir die Hand, anscheinend werden alle Zuschauer zu solch einer Geste aufgefordert. Dann werden Bücher ans Publikum verteilt, es ist Lesestunde, ein Buch der Idealisten, über ein aufgebautes Theater im italienischen Umbrien. Ein jähes Innerlichkeitsdrama erwächst. Eine spontane Lesegemeinschaft wird inauguriert, die weit entfernt ist von hektischen Bibelgruppen, die mitunter in Cafés einfallen und auffallen durch ihre Christus-Phonstärke. Leider müssen die Bücher wieder abgegeben werden. Das Fazit: War der Abend ein halbvolles oder ein halbleeres Glas?
Idealisten
Idee, Konzept, Realisation: Schauplatz International; Konzept, Raum, Kostüme: raumlaborberlin; Komposition und Schlagzeug: Martin Lorenz; Akkordeon: Silke Lange, Licht: Max Stelzl.
Mit: Lars Studer, Martin Bieri, Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl.
Berlin-Premiere vom 9.Januar 2014
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
Bildnachweis: © Schlesinger/Wikipedia
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)