HAU 2 Berlin: Kritik von "Fassbinder, Faust and the Animists" – Michael Laub
Premiere. Michael Laub und Remote Control Productions inszenieren Fassbinder mit viel Tanz und Spektakel.
© Michael Laub / Remote Control Productions
Es wird gebrüllt und gelitten
Wer unter anderem deshalb ins Theater geht, um Schauspielerinnen in ihren schärfsten Sachen zu sehen, kommt hier voll auf seine Kosten. Im Grunde greift "Warnung vor einer heiligen Nutte" die Dreharbeiten des Filmteams von Fassbinders "Whity" auf. Cuba Libre floss in Strömen, und Fassbinder, so Kameramann Michael Ballhaus in seiner Autobiografie, war einmal so betrunken, dass er eine Szene, die er vergessen hatte, noch einmal drehen wollte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ist der von Michael Laub präsentierte Fassbinder-Darsteller als Herstellungsleiter ein ziemlich harmloser Kerl, der etwas zu zart besaitet ist. Er trägt einen weißen Anzug mit rosa Hemd und sieht dem dauerrauchenden Original recht ähnlich. Ohne richtige Gegenwehr lässt er sich vom Regisseur niederbrüllen. In diesem Werk sieht das Publikum vieles doppelt: Die an die Wand projizierten Filmszenen werden vom Ensemble auf der Bühne teilweise reproduziert. Auch eine Meditationsszene, wo die Leute auf individuellen Teppichen lagern, das heilige Ohm aussprechen und in Ekstase, ja Exaltation geraten. Eine Blondine, wahrscheinlich Hanna Schygulla verkörpernd, spricht eine Viertelweisheit aus: "Das Schönste, was du bei ihm tun kannst, ist nicht mit ihm zu schlafen." Ob nun Fassbinders Sascha oder der Regisseur, egal. Und dann das Personal! Ein Langhaariger mit Hut, ganz nach Bohemien aussehend, spricht Vielsagendes und Nichts – der große Werner Schroeter. Eddie Constantine leider nur auf Video, dafür aber eine Inkarnation von Irm Hermann, die unter ihrer vergeblichen Liebe zu Fassbinder sich japsend windet.
Am Ende ein gemütliches Idyll
Die Bühne ist durch Materialarmut gekennzeichnet. Seitlich der leeren Bühne nur zwei Stuhlreihen, während rechts blaue Plastikstühle zu sehen sind, wird es links eine Spur extravaganter. Lediglich bei den Kostümen wird massiv Aufwand betrieben, zumindest was das Umziehen anbelangt. In dieser Inszenierung geht es auch um Präsentation und Auslotung von Machstrukturen. Der Regisseur ist oberster Anlaufpunkt, mal weint sich ein Schauspieler bei ihm aus, mal sagt einer lapidar: He is only happy, when other people are suffering. Glücklich wäre zudem eine kraushaarige Schauspielerin, wenn sie den Mutterleib zurückerobern könnte, einen Ort also, wo man alles gratis bekommt und sich nicht anstrengen muss. Was aber macht der Regisseur? Er ohrfeigt sie, naturgemäß, denn der Jammerlappen (wohl Irm Hermann, im Film Magdalena Montezuma) sucht nach einer festen Beziehung. Insgesamt ist das eine optimale Inszenierung für die herrschende Klasse, da das Rad der Unterdrückung, das Rad des Ixion niemals stillsteht, und es gibt auch einen Mann, der sich von einer Frau unterjochen lässt und daraus einen sublimen Genuss zu ziehen scheint. Ohne Zweifel, die Bühnenaktiven sind fleißig, zur Oud-Musik wird indisch gesungen, euphorisch getanzt und aus verfehlten Liebesgründen gejammert. Bedauerlicherweise geschieht der Tanz im kollektiven Einheitsrausch, fast alle machen die gleichen Bewegungen, von gelegentlichen individuellen, stimmungsabbildenden Seitensprüngen abgesehen. Einen mageren Kulminationspunkt erreicht das Projekt, als der genervte Regisseur wegen des ausfallenden Geldnachschubs aussteigen möchte. Er flippt aus und jäh hasst er alle. Eigentlich mythischer Zorn, aber Hurra! – und zehn Cuba Libre. Bei der konsternierten Schygulla-Darstellerin kotzt er sich aus, er will die Scheiße nicht mehr. Dazwischen immer wieder Einsprengel vom bis zur Qual rastlosen Gretchen-Mörder Faust und zusätzlich eine Dosis Animismus, was auch immer damit gemeint ist. Eine Naturbeseeltheit existiert nicht, bestenfalls versuchen die Tänzer*innen, das Publikum zu animieren. Am Ende sehen wir ein gemeinsames Kaffee- (oder Cuba-Libre-) Trinken auf der sonnenüberfluteten Terrasse. Ein gemütliches Idyll. Alles ist gut. Vorläufig. Denn das Rad des Ixion steht niemals still.
Fassbinder, Faust and the Animists
Konzept und Regie: Michael Laub, Dramaturgie: Astrid Endruweit, Choreografie: Greg Zuccolo, Vanthy Khen, Michael Laub, Video / Technische Leitung: Bodo Gottschalk, Licht: Nigel Edwards, Ton: Stephan Wöhrmann, Toni Bräutigam, Kostüm: Maria Roers, Monique Van den Bulck, Rebekka Schwark, The Cast.
Mit: Maxwell Cosmo Cramer, Lars Studer, Melissa Holley, Mike Iveson Jr, Juli Apponen Chanrotha Un, Allison Brainard, Magdalena Chowaniec, Lukas Gander, Robert Gather,Florian Lenz, Teyva Ly, Gabrielle Miller, Melissa Anna Schmidt, Greg Zuccolo, Vanthy Khen, Astrid Endruweit.
Im Video: Hilde Dalik, Luis Lüps, Daniel Philipp Roth, Jereon van Vliet.
Dauer: 120 Minuten, keine Pause
Hebbel am Ufer 2, Premiere vom 28.Juni 2017.
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)