HAU 2 Berlin: Kritik von "Oratorium" - She She Pop
She She Pop laden ein zum Chor. Das Publikum darf lange Tafel-Texte mitsprechen. Reflektiert wird unter anderem über Gentrifizierung und ungleiche Besitzverhältnisse.Fahnentrunken (Bild: © Benjamin Krieg)
Ernsthaftigkeit und Komik
Musik gibt es auch, aber eher unterschwellig. Während Richard Koch an der Trompete nur in heftigeren Szenen zu hören ist, sorgt Karl Ivar Refseth am Vibraphon für eine sanfte Untermalung des Geschehens. Gerade weil die Klänge so bescheiden sind, drängen sie unwillkürlich in den Vordergrund. An manchen Stellen weigert sich das Publikum, den Text nachzusprechen, etwa wenn ein Revolutionär zu Wort kommt oder jemand, dessen Interessen man rundheraus ablehnt. Lustig ist der Abend in keiner Weise, aber einige Zuschauer*innen sprechen gelegentlich mit exaltiertem Amüsement, als verfange sich der Text in Absurdität und Komik. Wenn Totalverweigerung entsteht und kein Ableser sich findet, gibt es immer einen kühnen Einzelnen, der im Dunklen aus der Solidarität herausspringt und einen kleinen Auftritt hat. Inhaltlich hat die Inszenierung wenig zu bieten, She She Pop zeigen nichts Neues, das noch von einem Geheimnis umwoben ist. Das – explizit beleuchtete – Problem der unterschiedlichen Besitzverhältnisse existiert so lange wie es die Menschheit gibt, Sozialneid und Hass auf die Wohlsituierten und Betuchten sind negative Folgen davon. Doch niemand wird animiert zu einer wie auch immer gearteten Verteilungsgerechtigkeit. Indem She She Pop mit diesem Thema spielerisch umgeht und alle Seiten zu Wort kommen lässt, wird die ernsthafte Absicht zu Analyse und Anprangerung und Veränderung konterkariert.
Gentrifizierung pur
Mit dem Materiellen haben sie es nämlich auch, die bemühten Schauspieler*innen. Ein Chor der Erbinnen versammelt sich auf der Bühne, wo festgestellt wird, dass das Gesamtvermögen der Nachlassverwalter sich auf rund 6,5 Millionen Euro beläuft. Und niemand hat die Absicht, eine Mauer gegen die sozial Unterprivilegierten zu bauen. Eine Schriftstellerin hingegen, die schier endlos in einer Wohnung im Prenzlauer Berg residiert, droht der Verkauf ihrer Heimstätte. Gentrifizierung pur, allerdings kann sie per Kredit die Wohnung auch erwerben. Und in ein paar Jahren teurer verkaufen, dann gehört sie auch in diese Szene und der Arsch ist gerettet. "Oratorium" ist etwas zu leichtfüßig angelegt, zu heiter-entspannt und der Multi-Perspektivismus macht eine konkrete Standortbestimmung unmöglich. Den angesprochenen, teilweise politischen Themen wird der politische Zahn gezogen, es bleibt das Laufen einer Unterhaltungsmaschinerie, die ein kleines Kollektiv-Erlebnis zum Inhalt macht und alles Scharfe oder Verletzende herausnimmt. Da war mehr drin.
Oratorium – kollektive Andacht zu einem wohlgehüteten Geheimnis
von She She Pop
Bühne: Sandra Fox, Kostüme: Lea Søvsø, Musik: Max Knoth, Trompete: Richard Koch, Vibraphon: Karl Ivar Refseth, Technische Leitung & Lichtdesign: Sven Nichterlein, Produktionsleitung: Anne Brammen.
Von und mit: Mieke Matzke, Sebastian Bark, Berit Stumpf, Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou, Fanni Halmburger.
Chor der lokalen Delegierten in Berlin: Brigitte Cuvelier, Susanne Scholl, Saioa Alvarez Ruiz, Wenke Seemann, Antonio Cerezo, Jan Sobolewski, Jean Chaize.
HAU 2 Berlin, Premiere war am 9.2.2018, Kritik vom 10.2.2018.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)