Kein Mensch ist illegal

Das Musiktheater nennt seine Performance auch eine Schlepperoper. Operngesänge durchziehen den Abend, allen voran Bora Balci, der die Töne zwischen Tenor und Bass umspannt. Neben dem Bariton sind auch hohe Stimmlagen zu hören, als Intermezzi und Einschübe, die das Gesagte mit gesungenen Text-Synkopen unterstreichen. Kein Mensch ist illegal: Diese These vom Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel (Autor von "Die Nacht zu begraben, Elischa"), oftmals bei Demos eingesetzt, wird mit schweren süßen Tönen an die Ohren herangetragen. Die Schauspieler sitzen eingangs auf mobilen Fels- und Steinlandschaften, die an der Unterfläche mit Rädern versehen sind. Im Hintergrund ist eine Wand mit leeren Karomustern, in die sich beschriftete Tafeln einschieben lassen, etwa Buchstaben in Fraktur- oder Symbolschrift. Oder die Symbole der griechischen Götter, von Zeus' Gattin Hera, von Kriegsgott Ares und von Meeresgott Poseidon, dessen schmucker Dreizack die Wand verbrämt.

 

Vor dem Eingang

© Steffen Kassel

 

Europa ist eine Festung

Claudia Splitt ist ganz mit einer Stierzeichnung beschäftigt und erklärt die historische Wandlung in einen Buchstaben. Die Hörner des Stiers zeigen in die Höhe, und das sei die Haltung des heutigen Europäers: Arme hoch, als Geste der Waffenlosigkeit, der Kapitulation. Aber in Wahrheit ist Europa heute eine Festung, verteidigt von militärisch ausgebildeten Grenzschutzbeamten und einem gigantischen Schutzwall, der die Flüchtlinge zurück ins Mittelmeer treibt. Der Weg, längst zu einem Pfad eingeschmolzen, ist ein Totenreich, in dem in mythischer Gestalt immer noch der gesangstrunkene Orpheus herrscht. Die Wogen des Wassers sind die wütenden Erinnyen, alles Unwillkommene in einen Abgrund ziehend.

 

Schlepper aus Liebe

Was andcompany&Co. da betreiben, ist eine Glorifizierung, ja Verklärung des Schleppers. Er, zweifellos ein Businessman mit kapitalistischen Strebungen, ist ein letzter Rettungsanker, der in seinem Selbstverständnis einen humanitären Auftrag erfüllt – die Bergung von heimatlos gewordenen Seelen. Claudia Splitt und Knut Berger, die Darsteller der Schlepper, erzählen von ihrem Job, der es mit sich bringt, dass, zynisch ausgedrückt, den beflissenen Grenzbeamten neue Kunden zugeführt werden. Die Tätigkeit geschieht aus Idealismus, ja aus Liebe – auch, als positiver Nebeneffekt und Arbeitsantrieb, aus Liebe zum Geld. Die Schlepperin hält sich nicht für ein reines Wohlfahrtsunternehmen, schließlich sind die Flüchtlinge nach der Vermittlungsfunktion auf sich allein gestellt. Man schaut nur nach vorne, nicht nach hinten.

 

Ein buntes Assoziationstheater

Die Schlepperin betont die Regeln beim Gespräch mit den Grenzbehörden: Keine Unterredungen mit der heimatlichen Botschaft, keine Informationen über die dortige politische Lage, dafür reichhaltige Hinweise über die erfahrenen Leiden. Implizit ausgedrückt, eine Aufbauschung der Folterungen. Das ist verarbeitetes dokumentarisches Material, das vom ethnisch gemischten Theaterkollektiv in Mythos und dramatische Realität eingewoben wird. Aber warum trägt der souverän erzählende Komi Mizrajim Togbonou ein historisches Kostüm, das an einen oberen Verwaltungsbeamten, an den Gouverneur eines geographisch abgesteckten Terrains erinnert? Indessen plaudert Knut Berger von den ornithologischen Besonderheiten der Todesregion, er zieht ein Fernrohr und ist entzückt vom Gesang der Vögel. Man sieht, die Aufführung ist ein buntes Allerlei, ein Assoziationstheater, das von einem hohen Tempo zusammengehalten wird, um ein Vakuum zu vermeiden. Leider ist es mitunter zu viel des Guten, die Fülle droht in eine Leere zu versanden, wird dann nur teilweise wieder aufgefangen und abgefedert. In der musikalischen Sektion fällt Susanne Fröhlich durch ihr fröhliches Flötenspiel auf, sie mischt auch bizarre Laute ins Geschehen, ohne in eine Kakophonie abzugleiten. Und Irida Baglanea und Claudia Splitt ergreifen gern das Mikrophon, erobern sprechend und singend die Bühne. Als Claudia Splitt einen letzten Gesangsauftritt hat, mit smash und mash und crash, werden drei Fahnen mit unbekannten Symbolen heruntergelassen. Insgesamt wird die Aufführung zu sehr von spontanen Einfällen getragen, die wie verirrte Blöcke aneinandergereiht sind. Ein etwas zu verspielter Zugriff auf die Flüchtlingsproblematik.

Orpheus in der Oberwelt: Eine Schlepperoper

von andcompany&Co.

Künstlerische Leitung: Nicola Nord, Alexander Karschnia, Sascha Sulimma&Co., Text und Bühne: Alexander Karschnia&Co., Kostüm: Jan Brokof, João Loureiro&Co., Masken: João Loureiro, Licht: Gregor Knüppel&Co.

Von und mit: Irida Baglanea, Bora Balci, Knut Berger, Georg A. Bochow, Susanne Fröhlich, Simon Lenski, Alexander Karschnia, Nicola Nord, Claudia Splitt, Sascha Sulimma, Komi Mizrajim Togbonou, Reinier van Houdt&Co.

Hebbel am Ufer (HAU 2)

Premiere vom 10. Oktober 2014

Dauer: 80 Minuten

 

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