Eingang vom HAU 2

Eingang vom HAU 2 (Bild: © Steffen Kassel)

Distanzierte und kommunikationshungrige Besucher

Zwanzig Zuschauer sind zugelassen in diesem Multiplayer Videostück, alle haben sie ein Tablett-PC, aber es gibt unterschiedliche Routen und Direktiven. Die auf dem Bildschirm auftauchenden Personen sind jene Experten des Alltags, mit denen Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel gerne zusammenarbeiten. Das 15 Räume umfassende Labyrinth wurde von Dominic Huber gestaltet, der einst das grandiose "Hotel Savoy" errichtete. Die Besucher sind sehr unterschiedlich, neben den unnahbaren, distanzierten Betrachtern lauern die Kommunikationshungrigen, die offenbar begierig sind auf jedes Anzeichen von Interaktion. Aber nicht alle gehören dazu: Als ich in einem Büro sitze, erhalte ich die Information, dass ich einen Gesprächspartner begrüßen müsse. Der taucht auch auf, sieht mich kurz und verlässt fluchtartig den Raum mit einem Gesicht, als sei er im falschen Film oder als habe er Bitterstoffe im Mund. Gut möglich, dass er gerade aus der Küche kam, wo Tee und Borschtsch angeboten wird. Da blickt man auf eine dünnflüssige rote Brühe, die irgendwie noch als Suppe durchgeht, zumal die schwimmenden Teile darin Rote Beete sein könnten. Für mich ist das nur ein Schnupperraum, sofort werde ich wegdelegiert.

 

Geschäfte mit legalen und völkerrechtswidrigen Waffen

Man erfährt von sensationslüsternen Journalisten, die eine Weile ihren Job erledigen, aber früher oder später als Störfaktoren eliminiert werden. Manche "Beatreporter" arbeiten mit Schutzwesten an vorderster Front, mit einer aufgenähten Applikation ihrer Blutgruppe für den Ernstfall. Eine regen- und schusssichere Weste darf ich im Konferenzsaal von KMW (Krauss-Maffai Wegmann) einsammeln und sie wieder ordnungsgemäß aufhängen in einem Zimmer, wo ich zuvor schon einen geschmeidigen Sprengstoffhandschuh anprobierte. Fazit: Mit apoplektischen Wurstfingern wird es eng. Außerdem bin ich nicht auf den Geschmack gekommen, die nächste Waffenmesse in Abu Dhabi zu besuchen. An Hinweisen zum Treiben der Deutschen Bank fehlt es nicht, etwa die Geschäfte mit völkerrechtswidrigen Waffen wie die Streumunition. Zum Glück habe ich ein Konto bei der Sparkasse, andernfalls wäre ich passiver Mittäter bei der Kreditgewährung für zweifelhafte Hersteller. Mein Hauptquartier aber ist der Konferenzraum von KMW, wo ich mehrmals hingeleitet werde und den Standort eines Spielzeugpanzers verlagern soll. Da ist ein Oberstleutnant der Bundeswehr am Wirken, und der bin nun ich. Jemand ist auf meine Ankunft vorbereitet und gibt mir lächelnd die Hand, als sei ich der wiederaufgetauchte Godot. Neidisch angesichts dieser hochtalentierten, einstudierten Begrüßungsgeste höre ich mir die Glorifizierung des Leopard 2 an. Wegen der deutschen Entspannungspolitik, erfahren die Anwesenden, besitzt die kleine Schweiz bald mehr Panzer als die Bundesrepublik.

 

Simultanität der Ereignisse

Das Team von Rimini Protokoll liefert eine hochinteressante Entdeckungsreise, aber das Projekt leidet unter der Simultanität der Ereignisse, ja unter einer Überflutung des Wahrnehmungsräderwerks. Der mit einem iPad ausgestatte Besucher hört auf die kopfhörergesteuerten Informationen, befindet sich gleichzeitig in einem neuen Raum und wird zum Interagieren aufgefordert. Normalerweise sollte man sich auf eine Sache konzentrieren, leider droht aufgrund der Überschwemmung eine leichte Einbuße an Orientierung. Teilweise werden nur Brocken des Gehörten aufgenommen, weil man sich mehr mit den atmosphärischen Besonderheiten eines Raums beschäftigt oder die Dimension des Mitmenschlichen mehr beachtet. Ein freies Stöbern ohne Dirigismus wäre mitunter zu begrüßen, so wie bei "Hotel Savoy" vor etwa vier Jahren. Einige Besucher trifft man immer wieder, andere erhalten die Aura einer Rarität. Ein Kritiker der "Welt" ist nur einmal kurz zu sehen, später ist er wie vom Erdboden verschwunden – wurde er vom Labyrinth verschluckt? Offenbar gibt es gewaltige Koordinationsunterschiede, das Lazarett beispielsweise habe ich nie betreten, ich weiß nur, dass es existiert. Am Ende treffen sich alle Teilnehmer im KMW-Raum – wo auch sonst? – und halten ihre iPads in die Höhe. Alles in allem ist "Situation Rooms" trotz einiger Misshelligkeiten ein starkes Projekt.

Situation Rooms
von Rimini Protokoll
Regie: Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel Szenografie: Dominic Huber / blendwerk, Video: Chris Kondek, Recherche: Cornelius Puschke, Malte Hildebrand.
Mit: 20 Experten des Alltags.

Hebbel am Ufer 2

Berlin-Premiere: 14.12.2014
Dauer: 1 Stunde, 20 Minuten

 

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