HAU 3 Berlin: Kritik von "Graecomania 200 years" – Hans-Werner Kroesinger
Premiere. Griechenland, einst ein Touristenparadies für Deutsche, gilt in der öffentlichen Wahrnehmung längst als fragwürdiges Schuldnerland.Kroesinger präsentiert theatral-dokumentarisch den Wandel.
Sina Martens
© Ammonius/Wikipedia
Wertlose Münzen im Überfluss
Judica Albrecht ist diesmal nicht mit dabei, die weiblichen Rollen werden von Sina Martens und Mila Dargies ausgefüllt. Im Gepäck ist wieder Lajos Talamonti, der bei Kroesingers Musa Dagh – Tage des Widerstands (Gorki Theater, Premiere 7.3.2015) einmal pausierte. Im Hintergrund ist die ruinenhafte Akropolis auf der Leinwand zu sehen. Die Berichterstattung heute knüpft Griechenland fast ausschließlich an die Geldfrage, deshalb rasseln viele Cent-Stücke in Blecheimern. Kleingeld als Peanuts, im darbenden Land fehlen die großen Banknoten. Auch auf einem Förderband fließen die fast wertlosen Münzen. Als Dekoration fungieren graue Polystyrol-Kisten, die aussehen wie gastronomische Warmhalteboxen mit zwei spaltartigen Öffnungen, beispielsweise für CDs. Ständig werden die leichtgewichtigen Kisten umarrangiert, es wird eine Art Schutzwall aufgebaut, aus dem später ein Konferenzraum entsteht, wie geschaffen für Verhandlungen bezüglich Kreditvergaben. Um dem Vorwurf zu entgehen, lediglich eine Aneinanderreihung von gut recherchierten Fakten zu liefern, lässt Kroesinger auch Theater spielen. Vier badetuchbedeckte Liegestühle sind ausgebreitet, darauf fläzen sich die vier sonnenanbetenden Ensemble-Mitglieder. Doch mit der Sonne ist es längst vorbei, auch wenn sie weiterhin scheint: Der Sehnsuchtsort verwandelt sich allmählich zu einem wirtschaftspolitischen Ärgernis.
Gewährte Staatanleihe zur Endlösung der Kriegsverbrecherfrage
Schon Ende der 1820er Jahre zogen viele Deutsche ins gelobte Kulturland, um beim Freiheitskampf gegen die Osmanen mitzuhelfen. Internationale Kriegskredite flossen, die dann als Druckmittel gegen die chronisch finanzschwachen Regierungen benutzt wurden. Dieses Thema scheint eine Hauptintention Kroesingers zu sein: Die Bevormundung Griechenlands im Zuge von Kreditgewährung und Zahlungsunfähigkeit. 1958 erhielt Griechenland von der BRD eine Staatsanleihe von 200 Millionen DM, die zur internationalen wirtschaftlichen Rehabilitierung führte. Doch Westdeutschland, wie sollte es anders sein, forderte eine Gegenleistung, mit der die "Endlösung der Kriegsverbrecherfrage" eingeleitet werden sollte. Die deutschen Kriegsverbrechen während der Griechenland-Besetzung im 2. Weltkrieg waren nun Angelegenheit der deutschen Gerichte. Was geschah? Fast alle Kriegsverbrecher blieben unbehelligt. Es wurde nicht retuschiert, sondern vertuscht, den alten Kompagnons zuliebe. Und es wurden zahlreiche Gräueltaten ausgeübt, die Schauspielerinnen und Schauspieler veranstalten ein Enthüllungsdrama. Kroesinger hat sich spezialisiert, den 1967 erfolgenden Staatsstreich von Georgios Papadopoulos mit der einhergehenden Installierung einer sechs Jahre währenden Militärdiktatur fällt komplett weg.
Das Licht ist verschleiert
Es geht weiter mit der aktuellen Finanzierungskrise und einer erwähnenswerten Rede von Alexis Tsirpas vor dem Europaparlament. Kroesinger kommt zu einer knalligen und diskutablen These, die er dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung entnommen hat: Deutschland ist trotz der immensen Geldpakete ein Profiteuer des Griechenland-Desasters, nicht zuletzt wegen des Zinsabfalls. Demnach hat man sich am schwächsten EU-Mitglied gesundgestoßen, ungeachtet aller monetärer Einbußen. Der Mythos ist gänzlich verschwunden: Das ew'ge Licht ist verschleiert, nicht nur die deutschen Urlauber sind skeptisch geworden. Der Stoff ist manchmal etwas trocken, lebt aber von einer recht lebendigen Vortragekunst. Der gern in Wunden stechende Regisseur hat nicht vergessen, dass das Ganze auf einer Bühne abgehandelt wird. Da wirkt ein recht spritziges, gut aufeinander abgestimmtes Team.
Graecomania 200 years
Konzept und Regie: Hans-Werner Kroesinger, Raum / Video: Rob Moonen, Ton: Daniel Dorsch/Hanns Narva, Konzept und Dramaturgie: Regine Dura, Mitarbeit Bühne: Dominik v. Stillfried.
Mit: Lajos Talamonti, Sina Martens, Mila Dargies, Niels Heuser.
Hebbel am Ufer 3
Premiere vom 30. Januar 2016
Dauer: 100 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)