HAU 3 Berlin: Kritik von "Not my revolution, if..." – andcompany&Co
Premiere. Eine Performance als Tour-de-Force-Ritt durch den Kapitalismus. Man will verändern, ist aktiv, aber am besten ohne Regierung und Nichtregierungsorganisationen.Die Pyramide der Gesellschaft (Bild: © Noah Fischer)
Im Widerstand überall dabeigewesen
Der komplette Titel der Aufführung lautet: "Not my revolution, if...Die Geschichte der Angie O.". Die spricht sich aus wie NGO, aber das ist ein reines Wortspiel. Sie ist keine real dargestellte Person, sondern eine fiktive, von allen Akteur*innen exemplifizierte Gestalt, die den undurchdringbaren Dschungel des Kapitalismus durchstreift und Teilnehmerin beim battle of Seattle, beim Anti-G8-Gipfel in Genua und beim Occupy-Wall-Street 2011 war. Durch diese Daten erfahren wir, dass die Widerstandskämpferin nicht mehr ganz jung ist und ihr Feuer bewahrt hat, das sich leider bühnenaktiv nur in flüchtigen Stichflammen äußert. Ob sie mit Lufthansa ihre rebellischen Zielorte erreicht hat, wird nicht vermittelt. Schade nur, dass vielleicht talentiertere geistige Kompagnons wegen Geldmangels gar nicht erscheinen konnten. Aber das sind eben die Schlechtweggekommenen des Kapitalismus, deren Vorfahren schon bei der Weltwirtschaftskrise 1929 eine Welt staatlicher Interdependenz einstürzen sahen. Die Truppe von Andcompany&-Co. sieht auch viel einstürzen. Ob periodisch wiederkehrende Wirschaftskrisen, die Favorisierung der indigenen Bevölkerung in vielen europäischen Staaten, Trump oder AfD – man sieht schwarz, genießt aber das Schwarzsehen in triumphaler elektrisierter Beschwingung. Derartige Vorgänge sind nicht neu. In allen möglichen Zeitaltern wurde der Untergang in den glühendesten Farben beschrieben. Auf dass ein neues reines Zeitalter anbreche. Ob das damals auch performt wurde, wissen wir nicht. Andcompany&Co. zelebrieren eine solche Untergangsstimmung kunterbunt, in Hinblick auf die Publikumserwartung auch ästhetisch. Das ist bei dieser Thematik ein kleines Problem.
Alle erhoffen sich ein besseres Leben
Das Bühnenbild ist nicht das schlechteste. Ein Pyramidenzelt steht im Hintergrund, es ist eine Gesellschaftspyramide, die angefüllt ist mit gutgekleideten männlichen Schaufenster-Puppen. Die untere Abteilung, also die Masse, ist optisch ausgespart, als Beispiel der Verschluckung. Ein profanes Flüchtlingszelt wird hereingeschleppt, das quasi die Wirkung der Pyramide vereitelt. Hier hausen die Gestrandeten, die sich ein besseres Leben erhoffen – und auch die politisch kundigen Aktivisten mitsamt Angie, die sich nicht nur in diesem Fall als nichtorganiserte Einzelkämpferin versteht. Und dabei sehnt man sich so nach dem organisierten Gemeinschaftskampf gegen alle Ungerechtigkeiten der Welt! Der findet nur auf der Bühne statt: Die Interaktion stimmt. Es wird viel gesungen, vornehmlich leicht konsumierbares Poppiges mit rebels without cause, die sich erst hinterher ihre Berufung aussuchen. Und Masken werden übergestülpt, die mit Trompeteninstrumentierung ans Surreale heranreichen und visuell an den zweifelhaften Mythos-Gott Loki erinnern. Insgesamt lässt sich sagen, dass mit Zartgefühl behaftete und aggressive Kapitalismusgegner mit der Überfülle an kapitalistischen Versagensleistungen überfordet sind. Und positive Zukunftsaussichten werden nicht geliefert. Es ist also alles nur ein Spiel mit dem Untergang im Zeitalter des Postfaktischen.
Not my revolution if ...: Die Geschichte der Angie O.
von andcompany&Co.
Text: Alexander Karschnia, Nicola Nord &Co, Musik: Sascha Sulimma, Vincent van der Valk & Co., Bühne: Noah Fischer & Co., Kostüme und Mitarbeit Bühne: Franziska Sauer & Co., Licht Design: Rainer Casper, Ton: Mareike Trillhaas, Regieassistenz: Hilkje Kempka, Technische Leitung: Marc Zeuske.
Es spielen: Nicola Nord, Krisjan Schellingerhout, Claudia Splitt, Vincent van der Valk.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
Hebbel am Ufer 3, Premiere vom 24. November 2016
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)