Die Enbeziehung des Zuschauers

Die Enbeziehung des Zuschauers (Bild: No Fourth Wall)

Erinnerungen als Bruchstücke

 

Es ist vornehmlich ein spanischer Abend, deshalb die Wahl des Veranstaltungsorts. Das Publikum wird angenehm verköstigt, die auf der Zunge befindlichen Geschmacksrezeptoren reagieren prompt angesichts der zwischen lukullisch und biederer Hausmannskost angesiedelten Essensbestandteile. Zunächst wird ein alkoholhaltiger Tee gereicht, später folgt ein stark riechender Käse auf Weißbrot, der aufgrund der Intensität spezielle helvetische Käsepräparate locker in den Schatten stellt, und anschließend eine Art Bohnenbrei, der nach fünf Löffel-Ladungen ohne Wasserzulage kaum zu bewältigen ist. Die Worte, die von einer Performerin sanft ins Ohr eingehaucht werden, sind schwer zu entschlüsseln, sie sind beinahe kryptisch, manchmal aber glasklar. Es geht um eine gesicherten Platz auf dem Friedhof, wo verstorbene Seelen weiterleben, und um die Ordnung der Erinnerungen, die einem gewünscht wird. Leider gibt es mitunter nur Bruchstücke von Reminiszenzen, mit dem das Gedächtnis, das ja keine Enzyklopädie ist, arbeiten muss, um das Puzzle zusammenzustecken. Bald wird es deutlicher: Wenn man wegen einer Chemotherapie nicht mehr die Haare färben kann, weil sie ausfallen, wird es ernst. So schrecklich können Schicksale sein, und wer nicht ganz durch die politischen Alltagsrealitäten abgestumpft ist, wird wohl etwas Empathie empfinden. Originelle Kleidungstücke der Verstorbenen hängen an jedem Tisch herum, es sind keine beliebigen Versatzstücke, sondern gelebtes Leben, das durchs bösartige Schicksal versackt ist, in den Abgrund gefahren, vielleicht auch nach oben, wo angeblich alles besser ist.

 

Adela Bravo Sauras

Foto: No Fourth Wall

 

 

Hände können sprechen

Es ist ein Theater des Stillestehens, der Nachdenklichkeit, der tiefen Innerlichkeit. Gewiss, es ist ein Aktionstheater, doch ein ganz zartes. In Anbetracht der Brüllereien, die im Stadttheater üblich sind, um das Publikum bei der Stange zu halten, geht man hier auf leichten Füßen daher, die ans Inwendige appellieren, dahin, wo die sensitiven Gefühle liegen, inklusive einfühlsamer Handmassage – was können Hände nicht alles aussagen! Dieses Theater changiert zwischen absichtlichem Dilettantismus und nostalgisch-romantischer Grabesluft im Großformat und irgendwie – wir wissen nicht, warum – wird eine von Schauer durchsetzte tragische Größe erreicht. Das Traurige an der ganzen Sache: Eine innere Ruhe, einen inneren Seelenfrieden wird es nicht geben, bestenfalls phasenweise, denn das Jenseits kennen wir nicht. Aber, und das ist die Botschaft der Performance, wir machen weiter, und tragen das Schicksal in den Herzen, auch wenn es wehtut. Immerhin: Die Atmosphäre erzeugt ein kaum zu beschreibendes Wohlgefühl. Adela Bravo Sauras liefert eine beeindruckende Show zwischen wehmütiger Besinnlichkeit und Aufbruchsdenken.

 

My hands. My mother's

von No Fourth Wall

Instituto Cervantes

Aufführung vom 21. November 2017

Dauer: 90 Minuten

 

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