Jim Knopf, das Findelkind
Er hatte Glück und fand herzliche ...

Er hatte Glück und fand herzliche Aufnahme auf einer Insel: Jim Knopf (Bild: Foto: Elmar Herr)

Von drei bis halb vier gab's Kinderprogramm. Glücklich, dessen Eltern einen der damals noch so seltenen Fernseher besaßen; die anderen mussten betteln. Aber die Zeiten damals, wie gesagt, sie waren besser: Die Freunde luden uns ein, in der "gude Stubb'" scharten wir uns um den Fernseher, und dann warteten wir auf die Augsburger Puppenkiste mit "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer"

Ein früher TV-Knüller dank der Augsburger Puppenkiste

Michael Ende (1929 bis 1995) hatte das Kinderbuch geschrieben: 1960 den Band "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", 1962 den zweiten Teil "Jim Knopf und die Wilde 13". Der Hessische Rundfunk brachte beide in Zusammenarbeit mit der Augsburger Puppenkiste ins Fernsehen. In der Vorweihnachtszeit wurden die Sendungen ausgestrahlt, ein die Wochen mit Spannung und Erwartung füllendes "Wir-warten-aufs-Christkind", dem wir Kinder mit glühenden Bäckchen folgten. Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer waren unsere Helden.

Wenn sich die Flügel der Augsburger Marionettenbühne öffneten, wenn der Vorhang zur Seite glitt und das Zirkusorchester die Melodie anstimmte, fieberten wir Kinder in den Wohnstuben. Nicht dass wir vergessen hätten, was bisher passiert war, Gott bewahre! Aber die Zusammenfassung sog uns wieder mit Macht in die Abenteuer der beiden Freunde Jim Knopf und Lukas. Lukas, der Mann, der Eisenstangen zu Schleifen binden konnte und ein Meister im Kunstspucken war, galt uns als väterlicher Freund: erwachsen, gelassen seine Pfeife rauchend, hilfsbereit – so wünschten wir wahrscheinlich, dass unsere Väter sein sollten. Wer Glück hatte, nannte solch einen guten Onkel aus der Nachbarschaft seinen Freund.

Die drei Helden: Lukas, Jim und Emma
Jim Knopf, Lukas der Lokomotovführer ...

Jim Knopf, Lukas der Lokomotovführer und Dampflokomotive Emma – die gute, alte Emma (Bild: Foto: Elmar Herr)

Lummerland: Inselrepublik voller Singles

Lukas der Lokomotivführer war heimlicher Berater von König Alfons dem Viertel-vor-Zwölften. Ein weiser Mann, dieser Lukas, klug und pragmatisch zugleich. Ein Single wie auch die anderen Bewohner der Insel Lummerland: wie Frau Waas, wie Herr Ärmel – ein überschaubares Idyll mit zwei Bergen, in dem Lukas' Lokomotive namens Emma ihre Runden drehte. Warum sie das tat, war egal – sie tat es einfach. Aber Emma bedeutete Verheißung, Versprechen. Emma war wie der fliegende Teppich, mit dem man reiste, sie verstand, wenn Lukas mit ihr sprach, und sie antwortete, indem sie pfiff.

Frau Waas buk Guglhupf, Herr Ärmel war eine Art Pensionär, und der König wurde von niemandem so richtig ernst genommen – eine im höchsten Maße gelassene Inselmonarchie tat sich vor unseren Augen auf. Bis eines Tages das Postboot im Nebel gegen die Insel rummste …

Die Bewohner von Lummerland bei ihrer Inselkonferenz
von rechts: König Alfons der ...

von rechts: König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, Frau Waas, Herr Ärmel, im Körbchen zu seinen Füßen Jim Knopf (Bild: Foto: Elmar Herr)

Ausgesetzt, aber in bester Obhut: Jim Knopf – ein Klappenkind?

… und das Idyll in Bedrängnis geriet! Der Postbote lieferte ein Paket, Inhalt: ein schwarzes Baby! Wie Moses im Bastkorb wurde Jim Knopf an Land gespült – Herkunft unbekannt. Sofort nahm ihn Frau Waas unter ihre Fittiche, und wir alle wünschten uns so eine Frau Waas, die ein wenig an Tante Polly erinnert, jene gutmütig-schrullig-nervöse ältere Dame, bei der Tom Sawyer seine Kindheit verbringt.

Ein schwarzes Baby Anfang der sechziger Jahre! Bis dahin hatten wir nur dann Neger zu Gesicht bekommen, wenn einmal im Jahr amerikanische Panzer durch unser Dorf rasselten, anhielten und ihre Besatzung ausspuckten. Gleich Weihnachtsmännern verteilten schwarzhäutige Menschen Zahnpastatuben, die Marmelade enthielten, und "Dschuinggamm" unter uns Kindern. Diese dunklen Männer mit ihrem lauthalsen Lachen, sie waren grundsympathisch und Beweis dafür, dass die Welt nicht hinter der Kurve unterhalb unseres Dorfes endete. Und nun also Jim ("weil er so aussieht", wie es Lukas der Lokomotivführer einmal formulierte) Knopf (weil die Löcher seiner Hose nur durch einen Knopf geschlossen werden konnten, den Frau Waas annähte). Wir liebten ihn, das Kindchenschema (großer Kopf und große Augen) funktionierte auch bei uns Kindern.

Aufbruch der Helden – die Reise beginnt

Jeder Mallorca-Urlauber weiß: Das Leben auf einer Insel kann ganz schön eintönig sein. Auf Lummerland war das kein bisschen anders. Und wäre nicht irgendwann die Frage nach Jims Herkunft aufgetaucht, und hätte nicht irgendwann König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte befürchtet, auf seinem Lummerland könnte es zu eng werden mit dem Heranwachsenden Jim Knopf, wer weiß, ob die Geschichte jemals bis zur "Wilden 13" gekommen wäre. Aber genau das passierte, und wir Kinder erlebten den Initiationsritus eines Jim Knopf, der sich seinem Freund Lukas anschloss: Hinaus ging's in die unbekannte, weite Welt, weil Lukas glaubte, nur sein Verschwinden würde Insel und Einwohnern helfen.

Lukas der Lokomotivführer - Ein Mann des Vertrauens

Emma wurde kalfatert. Kalfatert? Ja, mit Teer abgedichtet, damit kein Wasser eindringen konnte. Teer kannten wir Jungs, dieses verlockend übelstinkende Zeug, das einem den Atem raubte und jeden Sommer heißer werden ließ. Was wir bis dato nicht wussten: Lokomotiven konnten schwimmen! Wenn sie kalfatert worden waren. Und wir schmierten Lehm in die Ritzen unseres Spielzeugs und ließen es im Bach am Waldrand zu Wasser – wo es sofort unterging. Wir waren eben nicht so geschickt wie Lukas. Aber so pfiffig wie Jim Knopf. Der hatte sich seinem älteren Freund angeschlossen, und gemeinsam waren sie mit Emma in See gestochen. Und wir Jungs schnürten unsere Taschentücher, packten Butterbrot und Apfel hinein und liefen todesmutig Richtung Steinbruch, wo Basalt mit Dynamit herausgebrochen wurde.

Jim Knopf und Lukas: Vorbilder in jeder Hinsicht und wahre Weltenbürger

Wir kamen nicht weit. Das weit tragende Signalhorn des Steinbruchs signalisierte: "Mittag! Mutti wartet!" Wir trabten zurück, während Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer unterwegs waren Richtung China. (In anderen Ausgaben, die von Michael Ende autorisiert sind, gelangten sie nach Mandala.)

Wir lernten Li Si kennen, des Kaisers hübsche und manchmal etwas zickige Tochter, und spürten den Zauber des ersten Verliebtseins. Wir stießen auf Nepomuk, in der Drachenstadt nur geduldeter Halbdrachen, erster, nein zweiter Asylant in unserem noch jungen Leben, denn im Grunde war auch Jim Knopf ein Asylsuchender. Und wir fühlten mit Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen, dem einsamsten Menschen auf dieser Welt, der in der Wüste leben musste, weil er von weitem riesig, aus der Nähe aber nur klein aussah – ein Mahnmal für Toleranz, das schlussendlich seinen Platz als Leuchtturm auf Neu-Lummerland finden sollte …

Fünf Sendungen umfasste die TV-Serien-Produktion des Buches "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer"

  1. Auf Lummerland
  2. In China
  3. Durch die Wüste
  4. Die Drachenstadt
  5. Heimkehr.
1965 wurde sie noch in schwarz-weiß produziert, in der Produktion von 1976 reduzierte sich die Serienzahl auf vier Sendungen, dafür wurde sie jetzt natürlich in Farbe ausgestrahlt – was uns mittlerweile etwas älter gewordenen Kinder erneut vollkommen verzauberte …
Der "Vater" der beiden Helden: Michael Ende (1929 bis 1995)
Michael Ende schenkte der Welt ein ...

Michael Ende schenkte der Welt ein wundervolles Kinderbuch (Bild: © Caio Garrubba)

Eine Insel mit zwei Bergen - Titelmelodie von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer"
jofl, am 19.01.2012
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