Ein bemerkenswertes Interview gab die österreichische Politikerin Barbara Prammer der als konservativ geltenden Tageszeitung "Die Presse". Hierzu muss angemerkt werden, dass Frau Prammer als Präsidentin des Nationalrates in der protokollarische Rangordnung der Republik gleich nach dem Bundespräsidenten aufscheint und ihr Wort somit einiges Gewicht hat. Zudem gehört sie der Sozialdemokratischen Partei und somit dem politisch linken Spektrum an, wobei dies im Falle Österreichs wenig überraschend ist, kann man doch abgesehen von ein paar rechten Rüpeln fast sämtliche im Nationalrat vertretenen Abgeordneten ruhigen Gewissens der linken Coleur zurechnen.

Was aber macht dieses Interview meines Erachtens nach so bemerkenswert? Nun, es liegt nicht am typischen Politikerstil, den Stempel der eigenen Weltsicht dem Globus aufzudrücken. Lassen Sie mich einige interessante Passagen herausstreichen. Beispielsweise antwortet Frau Prammer auf die Frage, ob man im Zuge von Volksbegehren seine Stimme online abgeben können sollte:

Bei Volksbegehren ja, aber bei Volksabstimmungen traue ich mir kein abschließendes Urteil zu. Ich denke, es muss mir wert sein, dass ich zu einer solchen Abstimmung hingehe. Es sollte – wie bei Wahlen – auch hundertprozentig gesichert sein, dass ich abstimme und nicht meine Tochter.

Natürlich bin ich kein Experte in diesen Belangen. Aber mir fiele beim besten Willen kein einziger plausibler Grund dafür ein, weshalb der Wähler seine Stimme - sei es aus purer Bequemlichkeit, sei es, weil er körperlich dazu nicht im Stande ist - nicht grundsätzlich online abgeben können sollte. Exemplarisch für die problemlose Durchführung sei die Arbeitnehmerveranlagung genannt, die seit Jahren online durchgeführt werden kann, ohne dass es - jedenfalls meines Wissens nach - zu irgendwelchen Problemen gekommen wäre. Alles, was hierzu benötigt wird, ist eine eindeutige Identifizierung. Dies ist nicht nur technisch möglich, sondern wird seit längerem erfolgreich auch von Behörden praktiziert.

 

Interessant sind auch Prammers Ansichten zum ESM, den sie als alternativlos erachtet. Auf die Frage: "Wenn Sie das Volk dazu fragen, sagt es eventuell etwas anderes" erfolgt die Antwort:

Nur wenn man mit dem "Volk" nicht diskutiert. Das ist übrigens ein populistischer Begriff.

Fische im Schwarm: Vorbild für uns Menschen?Pardon? Der Begriff "Volk" ist populistisch? Leider bohren die Reporter nicht nach, sondern lassen diese seltsame Bemerkung im Raume stehen. Egal: Es spricht wieder einmal für sich, dem Volk, Verzeihung: Den Bürgerinnen und Bürgern!, zu unterstellen, sie würden "falsch" entscheiden, so sie nicht wie von der politischen Elite gewünscht "aufgeklärt" werden. Als Musterbeispiel hierfür kann das irische Referendum zum Vertrag von Lissabon gelten, das bei der ersten Abstimmung das "falsche" Ergebnis, nämlich die Ablehnung der Ratifizierung einfuhr. Folglich durften die Iren - von der EU sanft in die korrekte Richtung geschubst - ein zweites Mal abstimmen. Im Gegensatz etwa zu Deutschland und Österreich, wo die Verträge ohne jegliche Volksbefragung abgenickt wurden.

Hieraus lässt sich eines der ganz großen Probleme unseres politischen Systems ersehen: Interessen werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchgesetzt. Ob diese für den Einzelnen nicht sogar erhebliche Nachteile mit sich ziehen, ist unerheblich. Das Kollektiv zählt, nicht das Individuum, was uns zu einer verblüffend offenen Bemerkung der ranghöchsten öst. Politikerin bringt. Diese muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Guten Appetit!

Wenn ich mir eine Initiative vorstelle, die sich dafür einsetzt, dass zehn Prozent aus dem Sozialbereich abgezogen und in die Wirtschaftsförderung verschoben werden, gefällt mir das nicht. Die Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft ist eine gewisse Unfreiheit. Diese gilt für das Individuum, um die Freiheit im Kollektiv zu ermöglichen.

In wenigen Worten ist eines der grundlegenden Dilemmas des Systems Staat zusammengefasst: Das Kollektiv ist wichtiger als das Individuum! Wie oft muss eigentlich noch bewiesen werden, dass Kollektivismus in den günstigsten Fällen zu individueller Unfreiheit, in den schlimmsten Auswirkungen zu Kriegen führte? Oder um mit Benjamin Franklin zu sprechen: "Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren."

Freiheit ist nicht verhandelbar. Je mehr individuelle Freiheiten wir an den Staat - seien es Nationalstaaten, sei es der Staatenbund EU - abgeben, desto mehr schränken wir unseren Handlungsspielraum und somit unsere persönliche Sicherheit ein. Steuerbestimmungen können sich ebenso über Nacht ändern, wie Sicherheitsvorschriften oder allerlei Gesetze. Wer hätte es noch vor zehn Jahren vor möglich gehalten, dass die Produktion von Glühbirnen sukzessive verboten werden könnte? Oder dass Tabakraucher im öffentlichen Discours als "Sünder" gelten und fürs Rauchen an den "falschen" Plätzen bestraft werden könnten? Und es als selbstverständlich angesehen wird, stetig höhere Abgaben an den Staat leisten zu müssen, was zu der grotesken Situation führt, dass viele Arbeitnehmer von ihren Arbeitseinkünften nicht mehr leben können und wiederum vom Staat Zuschüsse erhalten müssen?

Freilich: Praktisch jede noch so unpopuläre Maßnahme seitens der längst mit der Wirtschaft verschmolzenen Politik lässt sich einleuchtend begründen: Energie soll gespart werden, Menschen sollen vor dieser oder jener Gefahr geschützt werden, etwaige Terroristen präventiv ausgefiltert werden, etc. etc. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, wird Politik aber nur noch unter dem Aspekt betrieben, wie möglichst hohe Einnahmen lukriert, Freunde belohnt und missliebige Menschen bestraft werden können. Jede umgesetzte oder geplante Maßnahme entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als reine Klientel-Politik. Es ist kein Zufall, dass bestimmte Banken "gerettet" werden "mussten", während die finanziellen Probleme des kleinen Bäckers rund ums Eck keine Schlagzeilen und schon gar keine alternativlosen Rettungspakete nach sich ziehen. Genauso wenig ist es Zufall, wenn ganze Wirtschaftszweige ohne massive Subventionen nicht überlebensfähig wären und das nötige Kleingeld hierfür den immer weniger international wettbewerbsfähigen Unternehmen entrissen wird. Und es ist auch kein Zufall, wenn Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden, wenn Individualität als "egoistisch" und asozial gilt, wenn Millionen Männer über einen Kamm geschert als böse Unterdrücker der ebenso über den Kamm gescherten Frauen diffamiert werden.

Liebe Leser: Falls Sie diese Zeilen als völlige Übertreibung oder kompletten Humbug betrachten, bitte ich Sie, aktuelle politische Meldungen unter eben diesen Aspekten zu betrachten: Wer profitiert davon? Welches Ziel wird damit verfolgt? Welche Freiheiten muss der Einzelne für das angebliche Allgemeinwohl aufgeben?

Das Ziel ist klar: Über all diesen Maßnahmen thront das Ideal des Kollektivismus.

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