Komödie am Ku'damm: Kritik von "Eine Familie" – Ilan Ronen
Das Drama von Tracy Letts nun auch in Berlin. Eine Familie befindet sich in einem fortwährenden Psychokrieg und scheint daran zu zerbrechen.Drei Schwestern: Annette Frier, Friederike Kempter und Eva Löbau (Bild: © Katarina Ivanisevic)
Ursula Karusseit, Felix von Manteuffel, Eva Bay
© Katarina Ivanisevic
Mir kann keiner
Die tragischen Figuren sind deshalb nicht so tragisch, weil sie ihrem Unglück die Schärfe nehmen und sehr offensiv zu Werke gehen. Das verheiratete Paar Beverly (Felix von Manteuffel) und Violet Weston (Ursula Karusseit) steht praktisch mit einem Bein im Grab, er ist rettungsloser Alkoholiker im Endstadium und sie hat Mundhöhlenkrebs. Das hindert die beiden keineswegs daran, wilde Wortgefechte auszutragen. Manteuffel ist zurechtgemacht als verwegener, unangepasster Intellektueller, der seinen T.S. Eliot kennt, geistreiche Zynismen verstreut und seine Formulierungskunst nicht verdorren lässt. Violet hingegen ist brachial und verwendet gänzlich ungraziöse Sticheleien, die mit der Pornografie- und Fäkaliensprache gesättigt sind. Ihre Worte, pointenorientiert und auf einen überraschenden Schlusseffekt abzielend, kommen trocken heraus, wirken aber wie Schwerthiebe. Man mag zuerst nur Rosen sehen, aber die liegen sogleich auf einem Leichenwagen. Mir kann keiner – das ist ihre Einstellung. Selbst wenn sie nur noch röchelt, will sie unbedingt den Sieg davontragen.
Vermischung von Spaß und Verhängnis
Als Beverly verschwindet – letztlich geht er ins Wasser – kommt es zu einer familiären Krisensitzung, natürlich von Violet einberufen. Sie nutzt die Gelegenheit für eine Generalabrechnung und verschießt ihr Pulver in alle Richtungen, zumal ihren bissigen Pointen, ihrer Vermischung von Spaß und Verhängnis nichts entgegenzusetzen ist. Zu dieser ominösen Zusammenkunft erscheinen auch die drei Töchter Barbara (Annette Frier), Karen (Friederike Kemper) und Ivy (Eva Löbau), alle mit ihren fast verflossenen oder vor kurzem entdeckten Partnern. Während Ivy etwas hausbacken und harmlos-bodenständig wirkt, scheint Karen einer domestizierten Glitzerwelt entsprungen, die sie vor familiären Konflikten etwas abschirmt. Annette Frier spielt ihre Barbara als eine Frau, die aus einem Maulwurfshügel einen Berg macht. Problembeladen und hitzig, gerät sie schnell in Rage, ist aber letztlich zu empfindlich, um staubtrocken kontern zu können. Ihre von Amelie Plaas-Link gespielte Tochter favorisiert auf der Bühne gymnastische Dehnübungen und wird beflügelt von ihren eigenen Mädchenfantasien. Die Unschuld des Werdens.
Der Wortwitz triumphiert
Das Bühnenbild ist eine Wohnung mit zwei Etagen, Sitz- und Schlafgelegenheiten sind ausreichend vorhanden. Ungemütlich und geschmacklos ist das Interieur eigentlich nicht, aber es hat keineswegs eine beruhigende Wirkung auf die Gemüter. Hier ist der Ort der Schlammschlachten, an denen sich das Publikum entzünden und entflammen kann. Hier wird das ausgetragen, was bei vielen schon im Ansatz steckenbleibt, weil man sich derartige angriffslustige Aussprachen aus Harmoniegründen versagt, obwohl man manchmal am liebsten die Fetzen fliegen lassen würde. Der Wortwitz triumphiert über alle Handlungen, über alle tragischen Szenen. Und diese Vorlage von Tracy Letts kann man durchaus in den Sand setzen. Beispielsweise durch die Tendenz hin zu einem reinen Lustspiel, wo die Figuren an den nackten Humor verraten werden und zum Tätigkeitsfeld eines Karikaturisten degenerieren. Ilan Ronen hingegen findet die Balance, die Ausgewogenheit von bitterer Heiterkeit und Tragik. Es mag sogar ein wenig verwundern, dass dieses zusammengeworfene Ensemble eine solche Harmonie entwickelt. Insofern ist diese Inszenierung recht wohltuend.
Eine Familie
von Tracy Letts
Übersetzung von Anna Opel
Regie: Ilan Ronen, Bühne: Tal Shacham, Kostüm: Magdalena Emmerig, Musik: Ivica Vrgoč.
Mit: Ursula Karusseit, Felix von Manteuffel, Amelie Plaas-Link, Annette Frier, Friederike Kempter, Eva Löbau, Eva Bay, Marion Breckwoldt, Jan Messutat, Ivan Vrgoč, Jaron Löwenberg.
Premiere war am 22. Januar 2015
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)