Der Garten Eden auf Kreta

Am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg nach Fodele auf. Eine dreiviertel Stunde bis zum Dorf werde ich vom Hotel aus brauchen, von der Kapelle Agia Stavros circa 10 Minuten mehr, und weitere zwanzig Minuten zum wieder aufgebauten Geburtshaus von El Greco. Doch zunächst muss ich dorthin kommen. Ich laufe auf der kaum befahrenen Landstraße. Es geht leicht, aber stetig bergauf. Das Tal zu meiner Rechten unter mir ist grün, vollkommen grün, was hier zu dieser Jahreszeit – wir haben August – völlig untypisch ist. Normal herrscht hier die Ockerfarbe vor, die nicht nur von der gleichfarbigen Erde auf Kreta her rührt, sondern von der verdörrten Vegetation unter der sengenden Sonne. Zwar ist das kleine Flüsschen, das  sich durchs Tal schlängelt, komplett ausgetrocknet, doch hat das ursprüngliche Wasser das Tal in eine grüne Oase verwandelt. Jetzt sind nur die blanken Steine in seinem Bett zu sehen. Anderenorts, landeinwärts sieht die Landschaft ganz anders aus. Sie ist ausgetrocknet, es wächst kaum was. Doch hier gedeihen die verschiedensten Pflanzen und tragen Früchte.

Neben großen Olivenbaumplantagen, die silbergrün in der Sonne schimmern, gibt es hier die unterschiedlichsten Pflanzen. Ich komme mir wie im Garten Eden vor. Neben Kakteen sprießen am Wegesrand Bäume und Sträucher  mit den exotischsten Früchten, wie Feigen und Granatäpfel. Sogar der Brotfruchtbaum gedeiht in diesem Tal unter dem mediterranen Klima. Ich bin erstaunt, was hier auf der Insel, auf der Gottvater Zeus geboren wurde, alles wächst. Die Götter müssen der Insel wohl gesonnen sein.

Feigen am Wegesrand auf dem Weg nach Fodele (Bild: Neo Vipa)

Fodele – ländliche Idylle auf Kreta

Fodele, der Geburtsort des bekannten Malers El Greco, ist ein beschaulicher Ort, auf dem das ländliche Leben Kretas zu spüren ist. Zwar gibt es auch hier Touristenshops, aber das Leben scheint hier anders zu ticken, irgendwie langsamer, idyllischer. Woran ist dies auszumachen?

Es sind all die Kleinigkeiten, die einem am Rande auffallen. Ich beobachte einen in die Jahre gekommenen Mann, der an der Ladefläche seines offenen Pick-ups steht und Tomaten klein schneidet. Sein Pick-up parkt direkt auf einer Brücke und ich frage mich, warum er ausgerechnet auf der Ladefläche seines fahrbaren Untersatzes Tomaten klein schnipseln muss.

Er scheint dafür alle Zeit der Welt zu haben. Nachdem er fertig ist, nimmt er den Eimer mit den Tomatenstücken, geht zur Brüstung, greift mit der vollen Hand in den Eimer hinein und wirft die klein geschnittenen Tomaten von der Brücke aus  in den Fluss.

Was soll das? Für mich ist seine Handlung, zumindest von meinem jetzigen Standpunkt aus, nicht nachzuvollziehen. Darum gehe ich ein paar Schritte nach vorne um dem Ganzen auf den Grund zu gehen und einen Blick hinunter in den Bach werfen zu können. Unten im Bachbett, so sehe ich, warten zig weiße Gänse und schnappen nach den kleinen, leckeren Happen. Erst jetzt, nachdem ich sie gesehen habe, offenbart sich mir die Bedeutung der ursprünglich skurril anmutenden Szenerie. Dem Mann gehören die Gänse. Und er füttert gerade seine Tiere, die anstatt auf einem Hof, mitten im Dorf leben und sich im Bach aufhalten.

Wenn die keinen guten Gänsebraten zu Weihnachten abgeben, was dann? Hier verdient das Wort Bio seine wirkliche Bedeutung.

Kurz vor Fodele noch eine Rast einlegen (Bild: Neo Vipa)

Unterwegs lädt eine Holzbank im Schatten eines knorrigen, ehrwürdigen Baumes zu einer kleinen Rast ein. Von dort aus ist es nicht mehr weit zum Dorf.  Doch nicht nur wegen der Pflanzenwelt ist der Fußmarsch nach Fodele zu empfehlen. Auf dem Weg bekomme ich Eindrücke mit, die ich während einer Autofahrt gar nicht so in mich aufnehmen könnte. Ich habe mehr Zeit das Gesehene zu verarbeiten und bin nicht der Bilderflut im Sekundentakt ausgesetzt, die sonst auf mich einprasseln würde. 

Die Impressionen sind irgendwie intensiver, präsenter, seien es die Ziegen in den Hainen am Wegesrand, die vorsintflutlich anmutenden Strommasten, bei denen man sich fragt, wie oft es wohl hier zum Stromausfall kommen mag, oder die Kapellen. Nicht zu vergessen sind hierbei auch die Kapellen in Miniaturformat, denen man auf Kreta ständig am Straßenrand begegnet. Sie kommen wie kleine Kunstwerke daher. Ob sie ein Ponton zu den bayerischen Marterln sind?

Und irgendwann, nach ungefähr einer dreiviertel Stunde, erreiche ich das Dorf Fodele, an dessen Grenze ein blauweißes Ortsschild mich, den Wanderer, begrüßt.

Südländisches Haus mit Veranda, Fodele

Südländisches Haus mit Veranda, Fodele (Bild: Neo Vipa)

Oder nehmen wir die frei umher streifenden Bergziegen in den Olivenhainen, denen ich zuvor begegnet bin. Die überqueren die Straßen, wie sie wollen, und gelangen so von einem Hain zum anderen, wo sie sich satt fressen können. Und keiner befürchtet, dass das Vieh von einem rasenden Autofahrer zur Strecke gebracht werden könnte. Nicht der Eigentümer der Ziegen, nicht der Autofahrer und am allerwenigsten die Bergziegen selbst.

Auch das alte Mütterchen, das am Eingang des byzantinischen Kirchleins in Fodele sitzt, rundet mein Bild von der beschaulichen kretischen Welt ab. Es sitzt Tag ein, Tag aus dort so da, strickt vor sich hin und wartet darauf, dass sich mal irgendein Tourist in die Kirche verirrt, von dem sie einen Obulus für den Eintritt verlangen kann.  Übrigens, an dem malerischen, kleinen byzantinischen Kirchlein der Panagia kommt man ohnehin vorbei, wenn man zum Geburtshaus El Grecos unterwegs ist. Und dorthin will ich hin, denn das ist die Hauptattraktion des Dorfes.

El Greco, sein Geburtshaus und heutiges Museum in Fodele

Das Geburtshaus El Grecos, der eigentlich Domenikus Theotokopoulos hieß, ist ein ansprechendes Landhaus, aus groben Steinen erbaut. Nichts deutet zunächst auf ein Museum hin. Man nimmt dem Anwesen seinen bäuerlichen, kretischen Ursprung ab. Es sieht gut erhalten und gepflegt aus. In mir keimen aber erste Zweifel auf, ob es wirklich das Geburtshaus des Malers sein kann. Denn dieser wurde Mitte des 16. Jahrhunderts geboren. Aber das Haus vor mir wirkt zu perfekt, hat keinerlei erkennbare Altersspuren. Es scheint so, als ob der Zahn der Zeit an dem Anwesen völlig vorbeigegangen wäre, es nicht einmal im Geringsten gestreift hätte. Erst später im Museum erfahre ich, dass es sich bei dem Haus um einen kompletten Neubau auf Alt gemacht handelt. Nachfahren des weltbekannten Malers haben El Greco, einem Sohn Fodeles, zusammen mit dem Ministerium dieses Museum errichtet.  Neben diversen Replikas seiner Kunstwerke sind auch das nachgebaute Atelier und diverse Entwurfsskizzen zu bestaunen.

El Greco (Bild: Neo Vipa)

El Greco muss damals viele seiner Verwandten, Bekannten und Trinkkumpanen auf der Leinwand aus seiner alten Heimat verewigt haben. Dies wird mir im Museum klar. Denn dort hängt eine ganze Reihe von Schwarzweißfotos, die Bewohner von Fodele zeigen. Und diese Fotos sind Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden. Aber die Gemälde hat El Greco bereits

Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts gemalt. Und die Gesichter auf den Gemälden haben frappierende Ähnlichkeit mit den Personen auf den Schwarzweißfotos, die circa 350 Jahre später aufgenommen worden sind. Es ist äußerst bizarr die fotografierten Nachfahren El Grecos, die die  Ur-Ur-Ur-Neffen des Malers sein könnten, in seinen Meisterwerken wieder zu finden. Echt schräg!

Ich frage mich, ob er wohl von den Porträtierten etwas verlangt hat, damit sie auf seinen Gemälden darauf sein durften? Schließlich wurden sie für die Nachwelt verewigt und werden jeden Tag von unzähligen Besuchern in den Museen der Welt und in der Kirche bestaunt. Welcher normal Sterbliche hat heute schon solch eine Aufmerksamkeit? Früher hatten nur Könige, Fürsten und Päpste das Privileg (und das nötige Kleingeld) sich auf diese Weise abbilden zu lassen. Aber nein, es ist unwahrscheinlich, dass er Geld dafür genommen hat. Erstens, ein Grieche nimmt kein Geld von seinen Verwandten für solch eine Gefälligkeit.  Und zweitens, die Bilder sind in einer Zeit entstanden, in der El Greco, pardon Domenikus Theotokopoulos, Kreta bereits verlassen hatte. Und eine Überweisungsmöglichkeit per e-Banking gab es damals noch nicht.

Übrigens, mir war bisher auch nicht aufgefallen, dass die Personen auf seinen Gemälden, griechische Gesichtszüge tragen. Aber mal ganz ehrlich: Wer hat sich schon, wenn er es nicht wegen des Studiums machen musste oder vielleicht beruflich damit zu tun hat, mit El Greco und seinem Werk intensiv beschäftigt? Ich muss zugeben, je länger ich die Personen auf den Bildern betrachte, desto mehr kommt es mir so vor, dass sie etwas griechisch aussehen, aber nicht ganz. Ich würde eher mediterran sagen.  

Als ich das Museum verlasse, bin ich mir auf jeden Fall sicher, dass El Greco von hier stammen muss, obwohl dies heute von den Gelehrten bezweifelt wird.

Informationen zu El Greco

Es ist umstritten, dass El Greco tatsächlich in Fodele geboren worden ist. Jedenfalls steht es fest, dass Domenikus Theotokopoulos im Jahr 1541 auf Kreta, das erste Licht der Welt erblickte hat. Damals stand Kreta unter der Herrschaft der Seemacht Venedigs. Er ging bei Michail Damaskinos, Begründer der Kretischen Malschule, in die Lehre. Als so genannter Ikonenmaler lernte er mit Ei-Tempera zu malen. Goldene Hintergründe und wenig Landschaftliches prägten dabei diesen Stil. Mit 25 Jahren verließ er Kreta, um in Venedig Schüler Tizians zu werden. Nach einer kurzen Station in Rom, reiste er weiter nach Spanien. Erst dort entwickelte der Künstler seinen einzigartigen Stil, der ihn berühmt machte. Übrigens,  seinen weltweit bekannten Namen El Greco erhielt er erst in Toledo, der soviel bedeutet wie "der Grieche". Bis zu seinem Tod am 07. April 1614 entstanden eine Vielzahl von Bildern wie das Altarbild "Martyrium des Hl. Mauritius und der thebaischen Legion" und die Gemälde "Das Begräbnis des Grafen von Orgaz" und "Die Entkleidung Christi".

Ich kann jedenfalls nur jedem empfehlen, der seinen Urlaub auf Kreta verbringt, mal nach Fodele zu wandern. Beginnen kann man die Wanderung auf dem Plateau über Fodele Beach. Von dort hat man einen irren Blick auf die Bucht und das Meer. Wenn Sie schon dort sind, bietet sich auch gleich Besuch der farbenfrohen, orthodoxen Kapelle Agia Stavros an. Anschließend können Sie Ihren Weg auf  der Landstraße fortsetzen, der nach Fodele führt bis ins Dorf und darüber hinaus bis zum vermeintlichen Geburtshaus El Greco und heutigem Museum. Der Ausflug ist eine gute Alternative, um das ursprüngliche Kreta abseits des Touristenrummels kennen zu lernen.

Hinweis für Reisende

Wer Agia Stavros, Fodele Beach, Fodele und das El Greco Museum besuchen und für sich selbst zu Fuß entdecken möchte, sollte am besten sein Auto kurz vor der Bucht Fodele Beach abstellen. Hier bieten die Tankstelle und der angrenzende Campingplatz an der Durchgangsstraße E75 (von Heraklion kommend in Fahrtrichtung Rethymnon) kurz vor der Ausfahrt Fodele geeignete Parkmöglichkeiten. Von hier aus ist die Agia Stavros und die beschriebene Aussicht auf die Bucht und das Meer mit wenigen Schritten zu erreichen.

Rechnen Sie von hier aus für den einfachen Fußmarsch bis zum El Greco-Museum ein- bis eineinhalb Stunden ein. Die beste Zeit für die Exkursion sind die ersten Morgenstunden, bevor es richtig heiß wird. Nehmen Sie genügend Wasser oder andere Getränke auf Ihre Wanderung mit. Die Landstraße abgehend von der Durchgangstraße E75 (Kretas Küsten-Autobahn) bis Fodele ist nicht besonders stark befahren. Dennoch sollte man nicht in der Mitte der Straße, sondern am Rand entlang gehen, insbesondere in den Kurven. 

Weitere Attraktionen und Sehenswürdigen auf Kreta und rund Fodele, hier weiter lesen

Autor seit 12 Jahren
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