Kulinarische Mutprobe: Milbenkäse
Die deutsche Küche hält Entdeckungen bereit, wie sie die aberwitzigsten Träume nicht servieren. Selbst Außerirdische werden Milbenkäse nicht toppen können.Eine ungeahnte Überraschung in der Rubrik deutscher Speisen - Volkstümlich und doch so fremd
Um ungewöhnliche Speisen zu probieren, muss jemand aus Deutschland nicht unbedingt in weit entfernte exotische Gegenden reisen. Nicht weit von Leipzig, in Würchwitz, gibt es Milbenkäse zu probieren. Nein, hier handelt es sich nicht um eine Käsesorte, deren Namensgebung auf einem alten Begriff beruht, dessen Bedeutung heute eine andere ist. Bei diesem Käse spielen tatsächlich Milben die Hauptrolle, diese kleinen Spinnentiere, deren Image sonst so negativ besetzt ist. Milbenkäse lebt!
Jahrhundertealtes Rezept
Der Beginn der Milbenkäseherstellung lässt sich auf über dreihundert Jahre zurückverfolgen. Von den früher hauptsächlich in Sachsen-Anhalt und vereinzelt im Osten Thüringens ansässigen hierauf spezialisierten Käsereien sind heute nur noch ein paar Betriebe in Würchwitz aktiv. Über mangelnde Kundschaft müssen sie jedoch nicht klagen. Es ist vielmehr der aufwendige Herstellungsprozess dieser ausgefallenen Käsesorte, der viele Käsereien abhält, Milbenkäse ins Programm zu nehmen. Eher wird die Milbenkäseproduktion in kleinen handwerklichen Betrieben geradezu liebevoll gepflegt. Milbenkäse ist eine Rarität, ein kulinarisches Kunstwerk, ein Genuss für Kenner und Stoff für Erzählungen.
Fleißige Helfer - Milben machen sich nützlich
Extrem magerer Frischkäse bildet das Basisprodukt, wird meistens mit Salz und Kümmel gewürzt und zu circa tennisballgroßen Kugeln oder zu Stangen rund um einen Holunderblütenstil geformt, dessen unteres Ende aus der Käsemasse herausragt. Hierüber gelangen nun Milben in den Käse. Diese Milben, Verwandte der Hausstaubmilbe, tragen zur Käsereifung bei. Vermutlich ist es ihr Speichel, der den Käse fermentieren lässt. Damit die Milben selbst nicht zu viel vom Käse naschen, werden sie mit aufgestreutem Roggenmehl gefüttert. Ganz allmählich über mehrere Monate verändert der Käse seine ursprünglich weiße Farbe nach zunächst Gelb, dann Rotbraun, bis er nach etwa einem Jahr fast schwarz ist. Die Milben bleiben dabei am Leben und werden schließlich mitgegessen.
Fans schwören auf den Geschmack - . . . hmmm . . .
Bereits rotbraun ist der Käse verzehrbereit, viele seiner Liebhaber bevorzugen ihn allerdings in seiner schwarzen Vollendung. Geschmacklich erinnert Milbenkäse stark an Harzer Käse, besitzt aber eine etwas bitterere Note. Traditionell isst ein Kenner Milbenkäse auf Brot. Der vorher dafür in Scheiben geschnittene Käse offenbart ein dekoratives Innenleben. Als passendes Getränk gibt es Bier. Stilecht ist es auch, Kakao zum Milbenkäsebrot zu trinken. Die Spezialität erfährt so in ihrer Ausgefallenheit noch eine Steigerung. Die frühere Gewohnheit, ein Stück Milbenkäse wie ein Bonbon zu lutschen, ist mittlerweile aus der Mode gekommen.
Die Hausapotheke ergänzen
Kein Scherz: Regelmäßiger Konsum von Milbenkäse beugt offenbar einer Hausstaubmilbenallergie vor. Es lässt sich der Vergleich zu einer beständigen Schluckimpfung ziehen. Ebenfalls positiv wirkt Milbenkäse auf die Darmflora.
Einzigartiges Kulturprogramm: das Milbenkäsemuseum - Kommen, sehen, staunen und hinterher viel zu erzählen haben
Es gibt rund um diesen Käse so vieles zu erzählen und zu zeigen, dass Würchwitz seit einigen Jahren ein Milbenkäsemuseum besitzt. Ungezählte begeisterte Besucher aus der ganzen Welt konnten dort schon faszinierende Einblicke in die zahlreichen wissenswerten Details dieser bemerkenswerten Käseart nehmen. Ersonnen und gegründet hat das Museum der Einwohner Helmut Pöschel. Mit Informationen und Veranstaltungen präsentiert er den Milbenkäse anschaulich und spannend. Lebendig ist Milbenkäse ja sowieso.
Natürlich ist eine Milbenkäse-Zwangsverkostung nicht Bestandteil des Museumsbesuchs. Wer absolut nicht probieren mag, wird trotzdem Gefallen finden an den Exponaten und teilweise skurrilen Geschichten um ein interessantes Nahrungsmittel.
Nachdenkenswert wäre es, sich einmal bewusst zu machen, dass die häufig von Kleinauf auf dem Speisezettel vertrauten Krabben, Garnelen, Krebse und Co. mit Milben verwandte Spinnentiere sind. Ebenso wenig Bedenken erzeugt der Genuss von Schimmelkäsesorten. Sicher, das ist eine andere Schimmelpilzart als zum Beispiel der Schimmelrasen auf verdorbener Pizza. Milben sind nur eine andere Spinnentierart als Krabben, Garnelen, Krebse...
(Bilderverwendung auf dieser Seite mit freundlicher Erlaubnis von Helmut Pöschel)
P. S.:
Die Autorin gibt zu, selbst noch keinen Milbenkäse probiert zu haben. Sie findet das Thema aber höchstspannend und wird dem Milbenkäsemuseum garantiert einen Besuch abstatten, wenn sie mal in der Nähe ist.