Das Majak-Unglück - Wenn Menschen zu Forschungsobjekten werden
Was sich für die einen wie eine Verschwörungstheorie anhört, ist für die anderen blanke Wahrheit. Das Majak-Unglück und seine Folgen.In meinem Artikel "Die schlimmsten Atomkatastrophen seit 1950" erwähnte ich bereits das Majak-Unglück, oder auch den Kyschtym-Unfall. Das Interesse an der 30 Jahre lang geheimgehaltenen Atomkatastrophe war groß - auch bei mir - was mich dazu bewegte, weitere Recherchen anzustellen. Über die mir gebotenen Informationen bin ich erschüttert, weshalb es mir schwer fällt, diesen Artikel zu schreiben, bzw. die passenden Worte zu finden.
Bildquellenangabe: Joujou/pixelio.de
Die Katastrophe...
Im Jahr 1945 befahl Stalin den Bau eigener Kernwaffen. Übereifrig und unorganisiert wurden südlich des Urals geheime Städte und Betriebe errichtet. Auch die Plutioniumfabrik Majak fand hier ihren Platz und das Schicksal nahm seinen Lauf. Der erste Reaktor konnte im Jahr 1948 die Arbeit aufnehmen. Nebenan, in einer geheimen Stadt, lebten ungefähr 20.000 Arbeiter. Heute ist diese Stadt unter dem Namen Osjorsk bekannt.
Ende August 1949 war die Sowjetunion soweit, die erste Atombombe über den USA zu zünden – die erste große Schlacht des kalten Krieges war gewonnen. Doch die Opfer waren groß. Die Arbeiter in der Majak Fabrik hatten keinerlei Schutzkleidung, denn aufgrund der fehlenden Gammastrahlung von Plutionium galt es als ungefährlich. Es ist unklar, wie viele Arbeiter durch den fehlenden Schutz starben – Krankenakten der damaligen Zeit liegen bis heute nicht vor.
Damit aber noch lange nicht genug. Denn die grundsätzliche Frage, wohin der hochradioaktive Abfall der Majak-Fabrik sollte wurde einfach beantwortet – in die Tetscha, ein Fluss am Osthang des Urals. An der Tetscha lagen Dutzende kleine Dörfer, mit insgesamt ungefähr 28000 Einwohnern. Bei den Meisten handelte es sich um Selbstversorger, die die Fische aus dem Fluss aßen und das Wasser als Trinkwasser nutzten. Aufgrund des eingespülten, radioaktiven Mülls erkrankten Anfang der 50er Jahre zahlreiche Dorfbewohner auf mysteriöse Weise: Krebsleiden, Missgeburten, Fehlgeburten waren keine Seltenheit. Die behördlichen Untersuchungen blieben unter Verschluss.
Es dauerte nicht lange bis die ersten Soldaten in den Dörfern eintrafen und mit der Evakuierung begannen. Den Dorfbewohnern wurde weiterhin nicht verraten, was genau los ist. Etwa 8000 Menschen wurden bis 1956 umgesiedelt. Alle Bewohner die dort bleiben mussten, sollten durch Absperrungen und Verbote geschützt werden – verraten wurde weiterhin nichts, demnach hielt sich auch niemand daran.
Das bedauerlicher an der Sache. Sowohl die Majak Leitung, als auch die Behörden wussten genau was in den Dörfern geschieht. Es hat viele Jahre gedauert bis bekannt wurde, wie viel Radioaktivität in den Fluss eingeleitet wurde – 100 Millionen Gigabecquerel.
Der Unfall selber...
Am 29.September 1957 ereignete sich ein furchtbarer Unfall in der Kerntechnischen Anlage Majak. In der gesamten Geschichte von atomaren Katastrophen wird der Kyschtym-Unfall als zweitschwerster Atomunfall nach Tschernobyl anerkannt. Einige Seiten sprechen sogar von dem schwersten Unglück.
Die Plutioniumfabrik Majak befindet sich an der Südseite des Urals. Die Fabrik beinhaltet auch riesige Betontanks, welche allesamt mit hochradioaktiven Flüssigkeiten gefüllt sind. Am 29.September 1957 explodierte einer dieser Tanks. Die Folge daraus war die Verseuchung eines acht Kilometer breiten und 110 Kilomenter langen Landstreifens. Gemäß aller Vorkehrungsmaßnahmen begannen die Behörden kurze Zeit später Dörfer und Siedlungen in unmittelbarer Umgebung zu evakuieren. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen ihr Leben lassen mussten.
Über Jahrzehnte wurde diese Katastrophe verschwiegen. Noch heute gilt das Majak-Unglück als bestverschwiegene Atomkatastrophe in der gesamten Geschichte. Nur einem Mann ist es zu verdanken, dass das Unglück von Majak publik wurde. Der Biologe Shores Medwedjew arbeitete in Moskau. Kurz nach dem Unglück kamen ihm einige Worte zu Ohren, die ihn stutzig machten. Aufgrund eines Fehlers seines Professors bestätigten sich die Gerüchte.
Während Medwedjew in den sechziger Jahren am Institut für medizinische Strahlenkunde in Obninsk tätig war, begann er ein Buch über die sowjetische Genetik zu schreiben. Da dieses Buch die Vertuschung aufgedeckt hätte wurde Medwedjew kurzerhand in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen. Dank seines Bruders – Roy Medwedjew – welcher den Skandal bekannt machte, wurde Shores Medwedjew aus der Klinik entlassen. Woraufhin er im Januar 1973 nach London reiste. Es dauerte nicht lange bis ihm die sowjetische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
In der Zeitschrift "New Scientist" erwähnte Medwedjew 1976 nur nebenbei von dem Unglück – damit stach er in ein Wespennest. Entgegen allen Erwartungen musste er sich nun nicht mit der Sowjetunion auseinander setzen, sondern mit Atomlobbyisten aus dem Westen, welche aufgrund anderer, kleinerer Pannen solch einen Zwischenfall in keinem Fall gebrauchen konnten. Seine Erklärungen wurden von der Atomenergieaufsichtsbehörde verhemt, trotz der Tatsache, dass sich ein Augenzeuge meldete.
Damit wollte sich Medwedjew allerdings nicht zufrieden geben und beschloss, von London aus weiter zu forschen. Er verschlang zahlreiche Fachaufsätze und stieß dabei auf einen Bericht von F.J. Rowinski, welcher von wechselnden Konzentrationen in zwei Gewässern berichtete. Weiteren Berichten zufolge wurden Fische, Vögel, Pflanzen und mehr untersucht. Er fand zahlreiche Parallelen und konnte schlussendlich beweisen, dass es eine atomatere Katastrophe gegeben hat.
Über diese Erkenntnisse schrieb Medwedjew ein Buch. Wie zu Erwarten waren die Reaktionen nicht sehr vielversprechend. Jedenfalls solange nicht, bis die Sowjetunion im Jahr 1989 (mehr als 30 Jahre nach dem Unfall) selber einräumte, dass der Unfall stattgefunden hat.
Die Majak Katastrophe heute...
Laut Majak-Leitung gibt es heute keine Einleitung des radioaktiven Abfalls in die Tetscha. Allerdings stellten Wissenschaftlicher genau das Gegenteil fest. Demnach ist die Radioaktivität seit 2001 deutlich angestiegen. Das Schlimmste – noch immer gibt es eine Vielzahl an kleinen Dörfern, in denen entlang des Flusses Menschen leben – eine schleichende Katastrophe könnte man meinen, oder ein geplantes Forschungsobjekt?
Niemand spielt mit dem Gedanken, die dort lebenden Menschen umzusiedeln, anstelle dessen werden sie ihrem Schicksal überlassen, müssen weiterhin mit Krebs, chronischer Strahlenkrankeit, Missbildungen und Frühgeburten leben. Und für was? Für die Wissenschaft. Denn bislang war es nicht möglich, Menschen zu untersuchen, die einer Langzeitbelastung ausgesetzt waren – Hiroshima und Tschernobyl belasteten die Betroffenen nur kurzzeitig.
(russisch mit deutschem Unteritel)