Erste wissenschaftliche Gedanken zum Thema Vogelflug

Viele Gedanken zum Thema Fliegen wurden niedergeschrieben, viele Experimente wurden durchgeführt, unterschiedliche Theorien wurden entwickelt und somit auch unterschiedliche Wege beschritten, die dann nach vielen Hundert Jahren an einem Punkt wieder zusammenführten. Dieser Jahrhunderte lang dauernde Entwicklungsweg beginnt in der Mitte des 15.Jahrhunderts, an dem Punkt der Geschichte an dem sich ein Genie namens Leonardo da Vinci (1452 – 1519) erstmalig wissenschaftlich mit dem Fluggedanken befasste.

Es fehlten damals grundlegende wissenschaftliche Kenntnisse über die genauen Bewegungsabläufe beim Flug eines Vogels oder einer Fledermaus. So versuchte Leonardo da Vinci als erster Mensch den Flugvorgang zu erforschen und wissenschaftlich zu erklären. Für ihn wurde diese Aufgabe zum technisch- wissenschaftlichen Lebenswerk. Als Erfinder, Naturforscher und geschickter Mechaniker war er bemüht Vorgänge in der Natur mit Hilfe von mechanischen Mitteln nachzuahmen. Entsprechend den handwerklichen Fähigkeiten im Mittelalter war die Lösung dieses Problems in der Ausführung aber relativ beschränkt.

Der Mensch als Antriebsmaschine für den Schwingenflugapparat

Leonardo studierte vor allem den Vogelflug, wie es einige Jahrhunderte lang danach viele Experimentatoren nach ihm taten, bis hin zu den Brüdern Lilienthal. Dementsprechend waren auch seine ersten mechanischen Experimente, dokumentiert in einer Sammlung von annähernd 160 Skizzen im Rahmen seiner fast 5000 Seiten umfassenden Niederschrift, hauptsächlich dem Schwingenflug der Vögel und vor allem der Fledermaus gewidmet. Er konstruierte eine dem Körperbau dieser Tiere nachempfundene Flugmaschine. Punkt für Punkt schrieb er seine Gedanken und Erkenntnisse zum Aufbau eines solchen Apparates, zur Flugstabilität, zur Gleichgewichtsproblematik und zur Lage des Schwerpunktes nieder. Die theoretischen Erkenntnisse Leonardos waren und sind überaus erstaunlich. Dachte er doch an so viele Möglichkeiten und Eventualitäten.

Sein Grundgedanke war, dass ein Mensch mit Hilfe der Muskelkraft seiner Arme und Beine ein Fluggerät bedienen und sich in die Luft erheben sollte. Der feste Glaube an den fliegenden Menschen ließ ihn aber die Problematik des Verhältnisses der Muskelkraft zum Körpergewicht beim Menschen im Vergleich zum Vogel nicht erkennen. Er setzte voraus, dass allein die menschliche Kraft ausreichen würde einen solchen Flugapparat antreiben zu können. Immerhin betrug die Spannweite seines Schwingflügelapparates 18 Meter, also ein doch sehr großes Konstrukt, dass nicht gerade ein Leichtgewicht und sicherlich schwierig zu handhaben war. Für eine etwaige Erprobung des Gerätes gab Leonardo sogar den Hinweis, diese über einem Gewässer durchzuführen um eventuelle Verletzungen des Fliegenden oder gar die totale Zerstörung des Fluggerätes zu verhindern.

Die Hubschraube - Urmutter des horizontalen und vertikalen Antriebes

Leonardo da Vinci erklärte auch vollkommen richtig das Prinzip einer "Hubschraube", welches auf den berühmten Wissenschaftler und Erfinder Archimedes zurückgeht. Er skizzierte und erklärte die Wirkungsweise exakt in seinen Aufzeichnungen, fand aber zum Beispiel keinen Zusammenhang zu dem Verhalten eines Windmühlenflügels im Wind. Dabei handelte es sich hier um das gleiche Prinzip. Trotz seiner wissenschaftlichen Vorgehensweise erkannte er nicht, dass, wenn ein solcher Windmühlenflügel bei Windstille gedreht würde, je nach Stellung der Flügel eine Luftströmung erzeugt wird, welche Druck oder Zug verursachen kann. Dabei funktionierte seine Hubschraube nach einem ähnlichen Prinzip, nur das die Wirkung nicht horizontal sondern vertikal erfolgte. Leonardo stand eigentlich kurz vor der Lösung des Wirkungsprinzips eines Antriebes, machte sich aber nicht die Mühe es weiter zu erforschen, da für ihn der Schwingflügelapparat den einzigen machbaren Weg zur Eroberung der Luft durch den Menschen darstellte.

Die erste Steuerung eines Flugapparates

Seine Erkenntnisse über die stabilisierende Wirkung eines so genannten Höhenleitwerks und die Funktion eines Höhenruders sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Klar und eindeutig erkannte er diese für den Flug nützlichen Elemente eines Flugapparates und beschrieb diese anhand des Verhaltens der Vögel im Fluge. Der Segelflug der Vögel fand dagegen in seinen Arbeiten nur eine kurze Erwähnung und keine wissenschaftliche Betrachtung. Weder der Gleitflug der Vögel noch seine Strömungsversuche im Wasser gaben ihm in seiner Schaffenszeit Impulse zur Weiterentwicklung seines Flugapparates.

Leonardos Zeichnungen zum Flügelschlagapparat

Leonardo da Vinci im Fokus der Kirche

Leonardos Forschungen gerieten sehr bald in Vergessenheit. Warum? Er führte alle seine schriftlichen Erläuterungen zu den Zeichnungen in Spiegelschrift aus. So wie es Giordano Bruno und Galileo Galilei auch taten. Wahrscheinlich aus Angst vor Spionen der Kirche oder vor anderen Widersachern. Er war damals seiner Zeit weit voraus und musste mit der Verfolgung durch die Inquisition rechnen. Wissenschaft und technischer Fortschritt passten nicht in das Weltbild der Kirche, und so lag es nahe, dass Leonardo aus diesem Grund seine Unterlagen "verschlüsselte" und immer sicher aufbewahrte. Die Erben schenkten nach dem Tod Leonardos diesen wichtigen Aufzeichnungen nur wenig Beachtung. Erst zum Ende des 18.Jahrhunderts begann der Physiker J.B. Venturi mit der Veröffentlichung des Nachlasses. Die Schriften und Skizzen über den Vogelflug wurden sogar erst 1893 gedruckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Selbst das unverzügliche Studium dieser Schriften unmittelbar nach deren Veröffentlichung hätte Ende des 19. Jahrhunderts keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung der Flugapparate nehmen können. Andere Experimentatoren nach Leonardo hatten bereits eigene Theorien entwickelt, mit Hilfe der menschlichen Muskelkraft einen Flugapparat zu bedienen. Die Möglichkeit aber damit zu fliegen, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon widerlegt.

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Schwingenflug statt Gleitflug

Letztendlich blieben Leonardo nur seine Beobachtungen, Versuche und die daraus abgeleiteten Theorien, welche er durch seine praktischen Fertigkeiten im Bau eines Schwingflügelapparates umzusetzen versuchte. Mit diesen Kenntnissen wäre es ihm auch gelungen ein Gleitfluggerät zu konstruieren, aber das schien ihm wohl nicht spektakulär genug. Nach Aussagen vieler Luftfahrthistoriker, basierend auf seinen Niederschriften, wurden weder Schwingen- noch Gleitflugversuche durchgeführt. Dennoch war er einer der genialsten Männer seiner Zeit. Auf Grund der Tatsache, dass sein Nachlass erst mehrere Hundert Jahre später bekannte wurde, verzögerte sich die Weiterentwicklung seiner Theorien durch andere. Erst auf einem neuen späteren Entwicklungsweg, durch andere Pioniere erforscht und praktiziert, wurde der Gleitflug und nicht der Schwingenflug wichtigstes Element in der Entwicklung des mechanischen Fluges und letztendlich die Grundvoraussetzung im Übergang zum Motorflug.

Eine Schwinge des Apparates/ Unten links die Hubschraube

Quellen:

- Chanute, Octave, Progress in Flying Machines, New York, 1891 (Abschrift einer Serie von Artikeln aus dem Railroad and Engineering Journal, New York City, Ausgabe Oktober 1891)

- Vivian, E. Charles, A History of Aeronautics, Project Gutenberg (Abschrift) von Dianne Bean, July 26, 2008, Project Gutenberg (www.gutenberg.org) und
- The World Wide SchoolTM,, Seattle, Washington, USA, November 1997, www.worldwideschool.org
(Abschrift des Buches, Erschienen im Oktober 1920)

- Wissmann, Gerhard, Die Geschichte der Luftfahrt von Ikarus bis zur Gegenwart, 4.berichtigte Auflage, Verlag Technik Berlin, 1975

Kaydet, am 12.11.2014
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Bildquelle:
X-24A (US Air Force/NASA) (Das US-Spaceshuttle-Programm – Wie alles begann)
Kerstin Schuster (Deutschlands erste Motorfliegerin: Melli Beese war eine Laubegasterin)
Sir George Cayley (Sir George Cayley - Urvater der modernen Luftfahrt)

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