Typisch männlich?

Typisch männlich? (Bild: Tim Reckmann / pixelio.de)

Definitionen von Männlichkeit

Unsere Kultur stellt Männlichkeit auf kulturell spezifische Weise her und definiert Männlichkeit je nach Betrachtungsweise wie folgt:

  • Essentialistische Definitionen: Für diesen Ansatz ist es üblich, einen Aspekt herauszugreifen, und diesen als Grundlage dafür zu nutzen, um das Leben von Männern zu erklären. Diese Betrachtungsweise geht zurück auf Sigmund Freud, der Männlichkeit mit Aktivität und Weiblichkeit mit Passivität gleichsetzte. Selbst dieser erkannte sehr schnell, dass diese Vereinfachung niemals ausreicht, um den komplexen Begriff der Männlichkeit ganzheitlich zu fassen. Mit der Zeit ersetzte man das Konstrukt Aktivität durch Risikofreudigkeit, Verantwortlichkeit, die Energie des Zeus oder sogar durch Heavy Metal, um Männlichkeit zu erklären. Problematisch an diesem Ansatz ist die willkürliche Auswahl des jeweiligen Aspekts.
  • Positivistische Definitionen: Dieser Ansatz geht davon aus, dass Männlichkeit das ist, wie Männer wirklich sind. Um dies herauszufinden, werden M/F Skalen aus der Psychologie zur Hilfe genommen und das sich daraus ergebende Muster wird als Männlichkeit bezeichnet. Das Problem dieses Ansatzes liegt darin begründet, dass keine neutralen Beschreibungen zustande kommen, weil bereits zu Beginn eine Kategorisierung in Männlichkeit einerseits und Weiblichkeit andererseits vorgenommen wird. Mithilfe dieser Definition wäre es unmöglich, dass eine Frau über männliche und ein Mann über weibliche Eigenschaften verfügt.

 

  • Normative Definitionen: Dieser Ansatz sagt aus, dass Männlichkeit das ist, wie Männer sein sollten. Anders ausgedrückt besagt sie, Männlichkeit sei eine Norm für männliches Verhalten. Problematisch hierbei ist, dass sich Männer unterschiedlich weit an diese vorgegebene Norm annähern. Die meisten entsprechen ihr nicht. Die Persönlichkeitsebene wird von diesem Ansatz gänzlich außer Acht gelassen.
  • Semiotische Definitionen: Laut Conell (2006) kann man diesem Ansatz wohl am ehesten Vertrauen entgegenbringen, wenn es darum geht, Männlichkeit korrekt zu definieren. Er betrachtet Männlichkeit als ein System symbolischer Differenzen, in denen sich weibliche und männliche Positionen gegenüberstehen. Männlichkeit wird somit definiert als Nicht-Weiblichkeit. Semiotische Definitionen gehen davon aus, dass Männlichkeit ein nicht markierter Begriff und ein Ort symbolischer Autorität ist. Dabei bildet der Phallus den maßgeblichen Signifikanten von Männlichkeit. Weiblichkeit dagegen ist ein Symbol für Mangel. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Tatsache von Bedeutung, dass ein Symbol lediglich innerhalb eines Systems von Symbolen verstanden werden kann. So existiert Männlichkeit außerhalb von Geschlechterbeziehungen überhaupt nicht. Zusammengefasst beschreibt Männlichkeit eine Position im Geschlechterverhältnis einerseits, die Praktiken, mit deren Hilfe Männer und Frauen diese Position einnehmen andererseits sowie last but not least deren Auswirkungen auf Körper, Kultur und Persönlichkeit.

Soziales Geschlecht – Definition und Aufbau

Was ist soziales Geschlecht?

Unter dem sozialen Geschlecht versteht man die Art und Weise, in der soziale Praxis geordnet ist. Kennzeichnend ist der Reproduktionsbereich, welcher durch körperliche Strukturen und menschliche Reproduktionsfaktoren definiert ist. Hierzu zählen beispielsweise Geschlechtsverkehr, Erziehung, Gebären sowie körperliche Geschlechtsgemeinsamkeiten- und unterschiede. Das soziale Geschlecht ist ein historischer Prozess, der den Körper miteinbezieht, jedoch darf es nicht mit einem starren Gefüge aus biologischen Determinanten verwechselt werden. Obwohl es immer auf den Körper bezogen wird, reduziert es sich nicht alleinig auf diesen. Soziale Praxis und Konfiguration von Geschlechterpraxis sind in diesem Zusammenhang bedeutende Begriffe. Im Auge behalten sollte hierbei immer das Prozesshafte, nicht das Statische. Konfiguration ist allgegenwärtig, man denke beispielsweise an den individuellen Lebenslauf. Aber soziales Geschlecht kann auch mehr Zeit einnehmen als den individuellen Lebenslauf, exemplarisch seien hier die heroische Männlichkeit in Romanen sowie die Dysphorien in der Medizin zu nennen. Gleichzeitig sind Geschlechtsidentitäten veränderlich und brüchig. Institutionen sind substanziell geschlechtlich strukturiert. Interne Arbeitsteilung und tagtägliche Handlungsabläufe sind nicht geschlechtsunabhängig aufgebaut. Das soziale Geschlecht verfügt über eine vielschichtige Struktur. Männlichkeit ist mit Widersprüchen und historischen Brüchen konfrontiert.

Die Struktur des sozialen Geschlechts

Das soziale Geschlecht strukturiert sich folgendermaßen:

  • Machtbeziehungen: In unserer Kultur steht die Dominanz der Männer der Unterordnung der Frauen gegenüber. Man bezeichnet dies als Patriarchat. Diese Struktur ist allgemein gültig, problematisch in Bezugnahme auf die Frage nach der Legitimität wirken sich jedoch Widerstände und Ausnahmen aus.

 

  • Produktionsbeziehungen: Hierbei steht die geschlechtliche Arbeitsteilung im Zentrum des Interesses. Männer erhalten aufgrund ihrer ungleichen Beteiligung an der gesellschaftlichen Arbeit, man denke an die ungleichen Löhne und das ungleiche Kapital, die sogenannte Dividende. Die Folge daraus ist ein geschlechtsbezogener Akkumulationsprozess.

 

  • Emotionale Bindungsstruktur (Karthexis): In unserer Gesellschaft wird sexuelles Begehren häufig als selbstverständlich betrachtet und nicht hinterfragt. Freud verstand darunter eine Art emotionale Energie, die an ein bestimmtes Objekt gehaftet ist. Das soziale Geschlecht formt die ganze soziale Praxis. Sie ist eng an andere soziale Strukturen geknüpft. Rasse, Klasse und Geschlecht befinden sich stets im Wechselspiel miteinander, daher sind alle Bereiche zu berücksichtigen.

Insgesamt existieren vier Beziehungskonstellationen zwischen Männlichkeiten:

  • Hegemonie: Die hegemoniale Männlichkeit ist die aktuelle Führungsposition von Männlichkeiten in unserer Gesellschaft. Dabei handelt es sich nicht um ein starres und unveränderliches Modell, sondern um eine Position im derzeitig gegebenen Geschlechterverhältnis, die jederzeit in Frage gestellt werden kann. Sie ist daher eine historisch bewegliche Relation. Hegemonie ist jene Form von Männlichkeit, die aktuell kulturell herausgehoben ist und den höchsten Stellenwert genießt, weil sie die derzeitig akzeptierte auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats ausgerichtete Männlichkeit darstellt. Dabei sind die Dominanz von Männern, die Unterordnung von Frauen sowie die Entsprechung von kulturellem Ideal sowie institutioneller Macht kennzeichnend.

 

  • Unterordnung: Darunter sind Beziehungen zwischen Gruppen von Männern gemeint, die sich durch Dominanz und Unterordnung auszeichnen. So steht in unserer Gesellschaft der dominante heterosexuelle Mann dem untergeordneten homosexuellen Mann gegenüber. Homosexuelle Männer werden heute noch politisch und kulturell ausgeschlossen, als Sündenbock missbraucht, staatlicher Gewalt unterworfen, wirtschaftlich diskriminiert und boykottiert. Sie befinden sich am untersten Ende der männlichen Geschlechterhierarchie. Genauso gut können aber auch heterosexuelle Männer ausgeschlossen werden. Diese werden dann meist mit Schimpfwörtern wie "Waschlappen", "Heulsuse", "Weichei", "Feigling" oder "Hosenscheißer" – sie alle symbolisieren eine Nähe zum Weiblichen - konfrontiert.

 

 

  • Komplizenschaft: Den normativen Ansprüchen von Männlichkeit werden nur wenige Männer gerecht. Die meisten Männer stehen vielmehr in Verbindung (= Komplizenschaft) mit der hegemonialen Männlichkeit. Das bedeutet, auch sie haben an der patriarchalen Dividende – am allgemeinen Vorteil, der aus der Unterdrückung von Frauen resultiert – teil, achten aber ihre Frauen und gehen Kompromisse mit ihnen ein. Daraus lässt sich schließen, dass Geschlechterpolitik stets auch Massenpolitik ist. Die Dividende verleiht Männern mehr Prestige, Anerkennung und Befehlsgewalt. Obwohl Frauen pro Jahr gleich viele Stunden arbeiten wie Männer, erhalten sie lediglich halb so viele Einnahmen.

 

  • Marginalisierung: Darunter versteht man Beziehungen zwischen Männlichkeiten dominanter und untergeordneter Klassen bzw. ethnischer Gruppen.

 

Sie dürfen diese Formen der Männlichkeit auf keinen Fall als feste Charaktertypen betrachten, sondern lediglich als Handlungsmuster, die in bestimmten Situationen innerhalb eines veränderbaren Beziehungsgefüges entstehen

Was hat es mit der Krise der Männlichkeit auf sich?

Das Geschlecht ist nicht nur das Produkt der sondern auch der Produzent von Geschichte, weshalb Geschlechterpraxis nicht selten als ontoformativ und Realität hervorbringend bezeichnet wird. Erst wenn wir die Historizität von Männlichkeit anerkennen, erhält sie einen festen Platz. Die Strukturen der Geschlechterverhältnisse sind einem zeitlichen Wandel unterworfen. Diese Veränderungen wirken von außen auf das soziale Geschlecht ein. Gleichzeitig können aber auch Veränderungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse entstehen. In Strukturen der Ungleichheit bilden sich früher oder später Interessen (patriarchale Dividende), die in Konflikte münden können. Männlichkeitspolitik wird sich künftig auch mit Fragen der Gerechtigkeit auseinandersetzen müssen. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer ungleichen Struktur massiver Enteignung sozialer Ressourcen. Wir unterscheiden zwischen zwei Formen von Gewalt:

  • Männer nutzen gerne Gewalt, um ihre Dominanz aufrechtzuerhalten. Diese reicht von der Einschüchterung der Frau durch Nachpfeifen auf der Straße über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bis hin zum Mord. Dabei haben sie das Gefühl, völlig im Recht zu sein.

 

  • Daneben gibt es die Gewalt unter Männern. Terrorisierung verfolgt das Ziel, andere Menschen sozial auszugrenzen. Gewalt kann auch dazu dienen, seine eigene Männlichkeit zu demonstrieren und den Selbstwert zu steigern.

 

Im Endeffekt kann Gewalt einerseits die reaktionäre Geschlechterpolitik bekräftigen, andererseits kann sie aber auch Chancen für Fortschritte hervorbringen. So zum Beispiel führte der Zweite Weltkrieg zu einer vermehrten Beschäftigung von Frauen, zu einer Erschütterung der Geschlechterideologie und zur Entstehung homosexueller Subkulturen. Gewalt ist somit Teil eines Unterdrückungssystems einerseits und Maß für seine Mangelhaftigkeit andererseits. Aktuell ist eine Krisentendenz der modernen Geschlechterordnung wahrnehmbar. Dieses ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Krise der Männlichkeit. Letztere würde ein kohärentes System voraussetzen, das im Endeffekt zerstört oder wiederhergestellt wird. Männlichkeit aber ist kein System, sondern Konfiguration von Praxis innerhalb eines Systems von Geschlechterverhältnissen.

Im Hinblick auf die Krisenanfälligkeit der Geschlechterordnung unterscheidet man zwischen drei Strukturen:

  • Machtbeziehungen: Aktuell ist die Legitimation der patriarchalen Macht zusammengebrochen und gleichzeitig entstand eine weltweite Bewegung für Emanzipation der Frauen. Durch die Krisenanfälligkeit werden Männlichkeiten neu konfiguriert und es entstehen neue Männlichkeitskulte.

 

  • Produktionsbeziehungen: In den letzten Jahrzehnten gab es einen massiven institutionellen Wandel, die Erwerbstätigkeit der Frauen hat stark zugenommen. Es existiert ein Widerspruch zwischen der Beteiligung von Männern und Frauen an der Produktion und der Aneignung der Produkte gesellschaftlicher Arbeit. Der geschlechtsstrukturierte Akkumulationsprozess führte zu Spannungen und Ungleichheiten.

 

  • Emotionale Bindungsstrukturen (Karthexis): Mittlerweile ist schwule und lesbische Sexualität eine öffentlich sichtbare Alternative innerhalb des heterosexuellen Systems geworden. Frauen setzen ihren Wunsch nach sexueller Erfüllung und nach Selbstbestimmungsrecht für ihren Körper zunehmend um. Im Grunde verbietet die patriarchale Ordnung jene Gefühle, Lust und Bindungen, die die patriarchale Gesellschaft aber selbst provoziert.

Ausblick

Die Männlichkeit an sich und somit auch die Lebensbedingungen von Männern und Frauen werden sich künftig unweigerlich verändern. Jeder ist an diesem Prozess beteiligt. Die Auswirkungen sind aktuell noch nicht absehbar. Männlichkeit ist also ein tiefgehender und vielschichtiger historischer Prozess.

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