Menschenjagd: Stephen Kings dystopischer Thriller
Die Vorlage zum Schwarzenegger-Vehikel "Running Man": In Stephen Kings "Menschenjagd" erwartet die Teilnehmer einer zynischen Reality-Show der Tod.Zynische Menschenjagd
Lauf um dein Leben!
USA im Jahr 2025: Wenige Wirtschaftskonglomerate beherrschen ein von Massenverelendung und Hoffnungslosigkeit gezeichnetes Land. Für die meisten Menschen stellt jeder einzelne Tag einen Kampf ums pure Überleben dar. So auch für den jungen Ben Richards, der mit seiner Frau Sheila und der kleinen Tochter Cathy in einem heruntergekommenen Sozialbau haust. Das Ehepaar ist verzweifelt: Cathy ist schwer krank und benötigt dringend Medikamente, die sich die beiden aber nicht leisten können.
Beim Fernsehen kommt Ben auf die Idee, sich bei der beliebtesten Gameshow des Landes zu bewerben: "Running Man", eine Show, bei der die Teilnehmer einen Monat lang von Jägern des Fernsehsenders gehetzt werden. Überleben sie, winkt eine gewaltige Geldsumme. Bislang schieden aber sämtliche Teilnehmer bei der Menschenjagd vorzeitig aus, nachdem sie von den Verfolgern geschnappt und getötet wurden.
Trotz der flehentlichen Bitten seiner Frau, bewirbt sich Ben für die Show und wird zu seiner Verblüffung tatsächlich aufgenommen. Wenig später wird er vom populären Showmaster Dan Killian als Teilnehmer vorgestellt - und muss entsetzt mitansehen, wie sein Leben und seine Frau völlig falsch präsentiert werden, um die Stimmung im Publikum anzuheizen. Schließlich ist der große Moment gekommen: Ben wird außerhalb des Studios gebracht und muss fortan, völlig auf sich allein gestellt, den Häschern entkommen. Nur mit viel Mühe und etwas Glück kann er den Jägern mehrere Male von der Schaufel springen und lernt Untergrundkämpfer kennen, die ihm bei seiner Flucht helfen. Zeit zum Verschnaufen findet der junge Mann aber keine. Denn selbst unter vermeintlichen Freunden verbergen sich Verräter...
Arnold Schwarzenegger will be back!
"Running Man" - da war doch noch was? Ja, richtig: Der 1987 in den Kinos gelaufene Actionkracher mit Arnold Schwarzenegger, der auf dem gleichnamigen Roman von Stephen King basierte. Oder besser gesagt: Angeblich basierte, denn mit dem dystopischen Thriller hat der Streifen außer den Namen der Protagonisten und des Settings praktisch überhaupt nichts gemeinsam. Nun soll über den Schwarzenegger-Film keinesfalls der Stab gebrochen werden. "Running Man" ist einer der wohl typischsten 80er-Jahre-Actionreißer mit markigen Sprüchen, viel Gewalt, waschbrettbauchigen Männern und seltsam gekleideten Frauen. Von Arnies besten Filmen wie "Terminator" oder "Total Recall" ist dieser Streifen Lichtjahre entfernt. Gute Unterhaltung ohne jeglichen Anspruch bietet er aber trotzdem.
Und genau hierin liegt die Crux begraben: Das 1982 unter Kings Pseudonym Richard Bachman veröffentlichte Buch war eine zynische, sozialkritische Abrechnung mit der Lust an Gewalt und dem Problem der zunehmenden Slum-Bildung in den USA. Davon ist in der Leinwandadaption freilich nichts mehr zu merken. Die simple Schwarzweiß-Präsentation komplexer gesellschaftlicher Vorgänge wurde im Film völlig ausgespart. Immerhin bot der Film viel Humor, Action und einige skurrile Ideen, wie jene, den Moderator der Gameshow "Running Man" mit dem auch außerhalb der Leinwand als Showmoderator tätigen Richard Dawson zu besetzen.
Spannender Thriller "Menschenjagd"
Von Robert Sheckley beeinflusst
Kings Roman ist weitaus vielschichtiger angelegt und somit deutlich spannender. Dabei war der Plot keineswegs so originell, wie er auf den ersten Blick anmuten möchte. Insbesondere der heillos unterschätzte Science-Fiction-Autor Robert Sheckley hatte bereits Jahrzehnte vorher ähnliche Szenarien entworfen, die allerdings meist mit für ihn typischen ironischen Wendungen endeten. Stephen King hingegen verfolgt den düsteren Gameshow-Ansatz konsequent bis zum bitteren Ende. Dadurch wirkt der Roman sehr eindringlich und lässt den Rezensenten nachdenklich zurück.
Wiewohl der Roman 1982 erschien, datieren die ersten Entwürfe weit zurück. Dem Zeitgeist der späten 60er-/ frühen 70er-Jahre entsprechend handelt es sich um einen dystopischen Blick in die nahe Zukunft. Zwar wird das Spiel mit der Gewalt auf die ultimative Spitze getrieben. Doch gar so unrealistisch erscheint die Prämisse längst nicht mehr. Natürlich darf man nicht den gerade in Deutschland populären Irrtum begehen, Science-Fiction-Stoffe als Voraussagen der jeweiligen Autoren zu betrachten. Vielmehr spinnt sich die Handlung um das Wesen der Menschen selbst: Wie weit geht man, um das Leben des eigenen Kindes zu retten? Ist man bereit, für ein paar Dollar einen Mitmenschen dem Tod auszusetzen?
Ben Richards: Kein Arnold Schwarzenegger
Die eingangs erwähnte Schwarzweiß-Malerei findet dabei nicht statt. King differenziert erstaunlich genau und verleiht selbst dem vermeintlichen Helden einige weniger heroische Wesenszüge. Mit dem von Arnold Schwarzenegger verbreiteten Bild des muskulösen Superhelden hat der Ben Richards im Roman wenig gemeinsam. In der literarischen Vorlage ist er ein verzweifelter Familienvater, der zwar durchaus intelligent, aber von durchschnittlicher Statur und Muskelkraft ist.
In Punkto Spannung zählt der Roman ohnehin zu Kings Meisterwerken. Trotz der minimalistischen Ausgangslage - Ben wird die Gameshow überleben oder beim Versuch, einen ganzen Monat zu überstehen sterben - erweist sich das Buch als echter Pageturner. Man will nicht einfach nur wissen, ob er die Hetzjagd durchsteht, sondern gerade die Umstände seiner Flucht und die gezeichnete Welt faszinieren. Echte Helden gibt es in diesem Universum keine: Ben ist einer von Millionen in Armut einzementierten Hoffnungslosen, der ausgerechnet im Rahmen einer menschenverachtenden Spielshow ein Stückchen Würde zu gewinnen trachtet.
Unerhörte Spannung
Geschickt zieht King, wie es von einem Könner seines Fachs zu erwarten ist, die Spannungsschrauben immer wieder an, gönnt seinem Protagonisten und dem Leser aber auch dringend nötige Ruhepausen. Die bei vielen neuen Thrillern zu beobachtende Unart, jedes Kapitel mit einem Cliffhanger ausklingen zu lassen, wurde bei "Menschenjagd " geschickt vermieden. Die Interaktionen und Dialoge mit jenen Menschen, die er auf seiner Flucht mal als Feinde, mal als Verbündete trifft, sorgen für genug Motivation, um den Roman in einem Rutsch durchzulesen.
Gleich weiteren Bachman-Romanen wie "Todesmarsch", zählt "Menschenjagd" zum Besten, das King jemals aus der Fingerchen floss. Wer keinen bis ins kleinste Detail durchgestylten, tausendseitigen Schinken sucht, sondern einen atemberaubend spannenden und durchaus nachdenklich stimmenden Thriller, ist mit diesem Roman bestens beraten. Den Film kann man sich ja später noch zu Gemüte führen.
Originaltitel: The Running Man
Autor: Richard Bachman (Pseudonym von Stephen King)
Veröffentlichungsjahr: 1982 (USA, Deutschland)
Seitenanzahl: 384 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)