Wer ist Miguel Szymanski?

Seiner Herkunft nach trägt Szymanski portugiesisches und deutsches Blut in sich. Sein Urgroßvater, ein Deutscher, wanderte 1913 aus der armen Region südlich von Stuttgart zuerst nach Spanien und dann nach Portugal aus. Er gründete eine Korkfabrik, mit Erfolg. Szymanski und seine vier Geschwister wurden am Atlantik geboren. Die Familie lebte in Faro, bis 1974 die Nelkenrevolution kommunistische Verhältnisse schuf. Diese bedrohten den Unternehmer und die Szymanskis gingen zurück nach Deutschland. Der Autor war gerade neun Jahre alt und wuchs somit in Portugal und Deutschland auf. Er besuchte überwiegend deutsche Schulen und beherrscht beide Sprachen als Muttersprache. Sein Herz hängt jedoch am Süden und so kehrte er erwachsen nach Portugal zurück. Szymanski lebte mehrere Jahre als Journalist in Lissabon. Er verkehrte in auserwählten Kreisen und hatte Kontakte zu hochgestellten Persönlichkeiten aus Regierung und Wirtschaft. Das gab ihm Einblicke, die nur wenige hatten. Er heiratet in Lissabon, wird Vater, verliert Jobs, findet keinen neuen und wandert 2013 nach beinahe endlosem Bewerbungsmarathon (humorvoll beschrieben) erneut nach Deutschland aus. Mit seiner neuen Verantwortung als Vater rechtfertigt er für sich den Schritt. Szymanski sucht Sicherheit für seine zwei Töchter. Das krisengeschüttelte Portugal kann ihm das nicht bieten. Im Schwabenland machen die Menschen es dem Südländer nicht leicht. Er beschreibt sie als emotional kalt und auf rationelle Werte fixiert. Schon der Urgroßvater wurde bei den portugiesischen Familienmitgliedern als "Fritz, der gefühlskalte Schwabe" beschrieben. Nun ist Szymanski ausgerechnet hier gelandet und wird sofort vom Heimweh geplagt. 

Ein faktenreiches, sehr emotionales Buch

Die ersten und auch folgenden Kapitel, aber besonders die ersten, provozieren und bedienen zwei einfache Klischees: der herzliche, freundliche Portugiese steht dem berechnenden, kaltherzigem Deutschen gegenüber. Der Süden contra dem Norden. Ist es so gewollt zugespitzt oder sieht es Szymanski tatsächlich so? Schon um dies zu ergründen, lohnt sich das Weiterlesen. Am Ende angekommen weiß der Leser, dass hier ein Journalist schreibt, in dem emotional immer wieder zwei Seiten kämpfen. In Portugal verteidigt er Deutschland und erklärt seinen Landsleuten, dass sie die Krise mit verschuldet haben. Das neue Feindbild der Deutschen taugt nicht, um die Situation zu ändern. Der Feind der kleinen Leute sitzt als korrupte Elite auch im eigenen Land. In Deutschland versucht er zu erklären, was für verheerende Folgen die strikte Sparpolitik für die Portugiesen hat. Er schreibt über Freunde, die hochverschuldet resigniert haben und sich das Leben nahmen, über Kinder, denen warme Malzeiten fehlen, und über Krankenhäuser, denen das Verbandsmaterial ausgeht. Die im Buch erwähnten Zahlen über Auswanderer, die Portugal in den letzten Jahren verließen, sprechen eine deutliche Sprache.

Obwohl "Ende der Fiesta" ein Buch mit ernstem Thema ist, bleibt der Humor nicht auf der Strecke. Schon die erste Seite lässt schmunzeln, wenn portugiesischer Bica (ähnlich einem starkem Espresso) mit deutschem Kaffee (oder was es denn sein soll) verglichen wird. Humorvolle Episoden bereichern die gesamten 192 Seiten. So liest sich "Ende der Fiesta" leicht und flüssig, wären da nicht die traurigen Fakten. In 14 Kapiteln erfährt der Leser viel über Portugal in der Gegenwart. Szymanski geht auf typisch portugiesische Eigenschaften und Lebensgewohnheiten ein. Er begründet, wie es dazu kommen konnte, dass sich das Land und seine Bürger so hoch verschuldeten. Er geht auf das Verhältnis zwischen Staat und Menschen ein und arbeitet Unterschiede zu Deutschland heraus. Dabei sorgt er für manchen Aha-Effekt beim Leser. Die gleiche Tatsache sieht aus deutscher Perspektive anders aus als aus portugiesischer. Die Mentalitäten sind verschieden. 

Ende der Fiesta

Südeuropas verlorene Jugend

Miguel Szymanski

Kösel-Verlag München 2014
Hardcover mit Schutzumschlag
219 Seiten

ISBN 978-3-466-37111-2

Persönliche Erfahrungen und das Buch

Mein Mann und ich haben Portugal mehrfach bereist. Unsere erste Reise 2008 führte uns in den Algarve. Es folgten weitere an die Westküste, nach Lissabon, Caldas de Rainha und Porto. Zuletzt gönnten wir uns fünf Monate Auszeit vom November 2014 bis Ende März 2015. Als Wochenendtourist in Lissabon besucht man die Highlights der Stadt, genießt das milde Klima und bewundert marode Hausfassaden, die im Reiseführer als charmant beschrieben werden. Graffiti und Bettler lassen sich dabei ignorieren. Wir mussten inzwischen feststellen, dass zwei unserer Gaststätten, die wir mochten, aufgegeben haben. Der Weg von Lissabon nach Caldas ist gesäumt von Industriebrachen und LKW-Friedhöfen.

Mein Mann besuchte nicht nur einmal die Familie eines portugiesischen Freundes. Von der Herzlichkeit schwärmt er heute noch und die Einfachheit der Lebensverhältnisse hat ihn tief berührt. Wir kennen einfache Unterkünfte mit undichten Fenstern, die selbst in milden Wintern kalt sind. Wir haben im "Wohnzimmer" eines Bauern im Alentejo gesessen, dass in Deutschland bestenfalls als Garage durchginge. Besonders während der letzen Reise spürten wir, dass es den Menschen in Portugal schlecht geht. Es wird nicht mehr investiert, bestenfalls reicht es für die Erhaltung. Oft auch das nicht mehr. Aber die alte Tram 28 ruckelt noch durch Lissabon. Die Miradouros locken mit beeindrucken Aussichten über die ganze Stadt, am Rossio wird Eis gegessen, der Elevador de Santa Justa verkürzt den Aufstieg von der Baixa zum Chiado. Es lohnt sich auch jetzt, nach Portugal zu reisen.

Uns ist persönlich nirgends die im Buch beschriebene Deutschenfeindlichkeit begegnet. Wer sich einige Worte Portugiesisch aneignet, erntet nette Worte, manchmal auch in deutsch. Wer freundlich auftritt, wird auch so behandelt. Portugal ist für uns ein spannendes Land voller Gegensätze mit sympathischen Menschen. Deshalb macht uns Szymanskis Buch betroffen. Selbst als mehrfach Reisende haben wir nicht das volle Ausmaß der Krise mitbekommen. Es tut weh, darüber zu lesen. Im Nachhinein können wir so das eine oder andere Erlebte besser einordnen.

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