Morgens im Berufsverkehr
Eindrücke einer S-Bahnfahrt aus der Sicht einer eingefleischten Autofahrerin mit der Ambition ein Buch zu lesen...Es ist ein schöner Sommermorgen, und ich schicke mich an zur Arbeit zu gehen. Es ist alles neu für mich, meine Adressen habe ich gegoogelt, ausgedruckt nach den Einsätzen geordnet und griffbereit verwahrt. Soll ja nix schief gehen bei meinem ersten Tag im Sozialdienst. Ich möchte außerdem pünktlich bei meinen Klienten sein oder anders betrachtet, viele Leute sehen sonst die ganze Woche niemanden, und ich bin da, um ihre Haushalte zu versorgen. Sie warten bestimmt, und Unpünktlichkeit könnte zu einer ausgewachsenen Krise werden.
Deshalb habe ich mich für das öffentliche Nahverkehrsmittel entschieden, die morgendlichen Staumeldungen und meine mangelnde Ortskenntnis gaben den Ausschlag.
Bepackt mit einem Rucksack, in dem Proviant und meine Schreibunterlagen stecken, ziehe ich los. Es ist noch zu erwähnen, dass ich ein Paar Wechselschuhe eingepackt habe. Werde viel laufen müssen und weiß noch nicht, wie meine Füße das vertragen. Und ein sehr dickes Buch habe ich dabei, gebunden. Das gute Stück möchte ich bereits seit 2 Jahren lesen...
Mein Lebensgefährte warnte mich noch: "Das wird alles zu schwer." Ich schlug diesen Rat in den Wind. Schließlich möchte ich die Zeit in der S-Bahn gut nutzen und endlich mal lesen. Aus Zeitnot kommt das gedruckte Wort leider viel zu kurz.
Ich fahre dann mit dem Auto zu dem etwa 12 km entfernten Bahnhof. Mir erscheint das sinnvoll, weil die Tarifzone knapp 1,50 € günstiger ist und gleich 2 Bahnhöfe, nur 300 m voneinander entfernt, erreichbar sind. Das verdoppelt meine Chancen, gut in die Stadt zu kommen; über die Unpünktlichkeit der Züge habe ich, eine eingefleischte Autofahrerin, wahre Horrorgeschichten zugetragen bekommen. Wer will schon am ersten Tag zu spät kommen?
Ich komme gut durch die morgendliche Blechlawine, finde rasch einen Parkplatz.
Der Bahnhof hat auch ein Klo, doch leider ist dieses defekt. Irgendwie versetzt mich das in Panik. Bei meiner anderen Stelle hatte ich ein Büro, in einem richtigen Gebäude, mit mehreren "Örtchen" und jetzt weiß ich nicht, wie lange ich eigentlich fahren muss und welche Klientenwohnungen mich erwarten. Diese tiefsinnigen Gedanken schiebe ich erst mal beiseite. Es gilt einen Sitzplatz zu ergattern, schließlich will ich ja lesen.
Ich schaffe das auch, auf einem Klappsitz, eingekeilt von einem Fahrradlenker mit Doppelklingel, obwohl die Drahtesel im Berufsverkehr nicht mitgenommen werden sollten, steht zumindest so auf einem Schild geschrieben. Aber egal, ich bin ja neu hier und möchte mir über so was nicht meinen noch nicht ganz wachen Kopf zerbrechen und den Halter des Fahrrades nicht vergrätzen.
Krame mein Buch aus dem Rucksack, zuerst müssen aber die Schuhe raus, verliere das Lesezeichen, habe aber Glück, dass ich die Seite doch schnell wiederfinde.
Merke leider rasch, dass ich mich nicht so recht konzentrieren kann. Bin etwas irritiert von der Ansage der Haltestellen. Es ist eine Zwischenbahn, sie fährt im Berufsverkehr zusätzlich zu den regulären Nahverkehrszügen, und die Haltestellen werden vom Fahrer durchgesagt, nicht vom Band Es soll eigentlich heißen: Nächster Halt Frankfurt Höchst, aber es hört sich an wie Nähehalt Frnkhöschst. Nach kurzem Stopp ertönt ein "Zoröck bleiben".
Schlimm für mich, ich kriege nicht so recht mit, wo ich eigentlich bin und muß ständig drauf achten, den Namen des Bahnhofes, den ich gerade passiere, auf dem Bahnsteigschild zu erspähen. Ich zucke bei den Ansagen zusammen.
Es steigen auch immer mehr Leute zu, das Fahrrad steigt aus. Doch besser wird es auch nicht, ein mürrisch dreinblickender Herr mit Ansatz zu Übergewicht platscht auf den Nebenklappsitz und Teile seines Körpers beanspruchen ein kapitales Eckchen von meinem, doch recht bescheidenem Platz. Jetzt muß ich das Buch schief halten. Verbissen starre auf die Lettern und werde von den Worten " Fahrscheinkontrolle" aus meiner Geschichte gerissen. Ich schrecke hoch, krame mit angewinkeltem Arm nach meinem Fahrschein, wobei meine sorgfältig geordneten Einsatzpläne in einem bunten Wirrwarr zu Boden flattern und dazu von meinem Buch erschlagen werden. Für einen Moment erstarre ich vor Hilflosigkeit.
Mit hochrotem Kopf hebe ich auf, packe ein, raffe zusammen und falle schließlich schweißgebadet an der Frankfurter Hauptwache aus dem Zug. Dort stehe ich erst mal völlig desorientiert und halte verzweifelt Ausschau nach einer Toilette. Finde zum Glück auch eine und danach bin ich etwas entspannter und froh den 1. Teil meiner Fahrt geschafft zu haben. Bin sehr skeptisch, wie die weitere Fahrt mit der U-Bahn wird und habe auch Streß, ob ich pünktlich ankomme. Mal sehen, was mich noch alles ereilt...
Frankfurter U- Bahn auf der A7
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Die 7 wichtigsten Dinge im Leben)