Was sind Nacktmulle für Tiere?

Thomas B. Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin studiert die Tiere seit 1995 und vergleicht sie mit anderen Nagern.

Demnach stammen Nacktmulle ursprünglich aus Ostafrika. Sie sind, biologisch gesehen Nagetiere und mit Hamstern, Meerschweinchen und Stachelschweinen verwandt. Das von vielen Menschen als eher hässlich wahrgenommene Tier hat erstaunliche Fähigkeiten, die ihn von allen anderen Säugetieren abhebt

Bild: Analyse der Tonaufnahmen, Felix Petermann, MDC

Einige der besonderen Fähigkeiten der Nacktmulle

  • Nacktmulle leben in weit verzweigten Tunnelsystemen unter der Erde, die sie mit ihren großen Schneidezähnen graben.
  • Sie können fas 20 Minuten ohne Sauerstoff auskommen.
  • In ihrem Staatssystem gibt es folgende Berufe: eine Königin, Soldaten, Bruthelfer, Rohrreiniger, eine Baukolonne und Wärmekissen
  • Nacktmulle sind bis in einem hohen Alter geschlechtsreif, weil sie immer neue Eizellen bilden können
  • Jeder weibliche Nacktmull kann Königin werden. Nur sie ist berechtigt Nachwuchs zu bekommen. Der Kampf um die Nachfolge kann sehr blutig sein.
  • Wenn die Königin sich durchgesetzt hat, verändert sie ihren Körperbau. Er wird länglich, damit er, in Notfällen, auch bei einer Schwangerschaft durch das weite, enge Röhrensystem passt.

Nacktmulle stellen sich weiter vor

Ein ausgewachsener Nacktmull ist etwa 15 Zentimeter lang und bis zu 50 Gramm schwer. Sein Körper ist unbehaart, rosig. Salopp gesagt, ähnelt sein Aussehen einem Marzipanschweinchen mit langen, nachwachsenden Schneidezähnen und winzigen Ohren.

Im Unterschied zu Mäusen oder Ratten, die ungefähr drei Jahre alt und Meerschweinchen die bis zu zehn Jahre alt werden können, haben Nacktmulle eine Lebenserwartung von etwa 30 Jahren.

Nacktmulle kommunizieren, so erklärt Professor Gary Lewin, der Leiter der Arbeitsgruppe "Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung" am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), gerne mit ihren Artgenossen. Aus dem Grund eignen sie sich für dieses Forschungsgebiet.

Interessierte, die sich vorsichtig ihrem Bau nähern, hören, dass sie, fast ununterbrochen, miteinander leise in unterschiedlichen Stimmlagen, zwitschern, piepsen, zirpen oder grunzen.

Das Anliegen der Wissenschaftler ist es herauszufinden, welche Bedeutung diese Laute für das Zusammenleben der Tiere haben. Nacktmulle leben, nach strengen Regeln, in ihrem eigenen kleinen Staat und es könnte sein, dass sie sich gegenseitig über Befindlichkeiten, Ereignisse und/oder Neuigkeiten informieren.

Fremde Nacktmulle sind im Staat unerwünscht

Gemeinsam mit Dr. Alison Barker, Professor Nigel Bennett und Dr. Daniel Hart, die beiden Letzteren von der südafrikanischen Universität Pretoria, analysierte Lewin, der die Nacktmulle schon seit rund zwanzig Jahren am MDC erforscht, das leise Zwitschern der Nacktmulle bei jeder Begegnung der Tiere untereinander. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die Tiere jeder Kolonie einen eigenen Dialekt haben. Es sei offensichtlich, dass dieser das Zugehörigkeitsempfinden und den Zusammenhalt im Nacktmull-Staat fördert. Es war zu beobachten, dass in einem bestehenden Staat als fremd eingestufte Nacktmulle, mit einem anderen Dialekt nicht akzeptiert wurden. Lewin vermutet, dass dieses Verhalten, auf die permanente Nahrungsknappheit in den trockenen Steppen ihrer ostafrikanischen Heimat zurück gehen könnte.

Denn innerhalb des eigenen Staates verhalten sich die Nager miteinander kooperativ: Es gibt keine Diskussion, jedes Tier kennt seinen Rang sowie die damit verbundenen Aufgaben – und geht diesen in aller Regel sehr zuverlässig nach.

Jeder Nacktmull hat seine unverwechselbare Stimme

Um die Sprache der Nacktmulle zu analysieren, nahm das Team um Lewin über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 36.190 Töne von 166 Tieren aus sieben im Labor gehaltenen Kolonien in Berlin und Pretoria, auf.

Lewins und Barkers Kollege, der Mathematiker Grigorii Veviurko, der an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden forscht, nutzte, um die akustischen Merkmale der einzelnen Laute bildlich darzustellen, einen Algorithmus.

Mit diesem konnten acht verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die Höhe oder die Asymmetrie der Stimmen erfasst und miteinander verglichen werden, erklärt Lewin.

Veviurko entwickelte zusätzlich ein Computerprogramm, das mit großer Zuverlässigkeit ermitteln konnte, welches leise Zwitschern von welchem Nacktmull stammt.

Obwohl offen blieb ob sich die Tiere untereinander an ihrer Stimme erkennen, wurde, anhand des Computerprogramms klar, dass jedes der Tiere eine unverwechselbare, eigene Stimme hat und dass es Gemeinsamkeiten der Laute innerhalb einer Kolonie gibt.

Bei der Anwendung habe man, anhand der Laute der Nacktmulle bestimmen können, aus welcher Kolonie ein bestimmtes Tier stammt. Ob den Tieren das auffalle und ob sie eigene und fremde Dialekte erkennen, sei zu diesem Zeitpunkt der Studie noch unklar gewesen.

Die Laute der Artgenossen wirken anziehend

Um diese Fragen beantworten zu können, machte Dr. Alison Barker mehrere Experimente.

Im Ersten setzte sie wiederholt einen Nacktmull in zwei über eine Röhre miteinander verbundene Kammern.

In der einen Kammer waren leise Zwitscherlaute eines anderen Nacktmulls zu hören, in der anderen war es still.

Sie beobachtete, dass die Tiere ohne zu zögern in den Raum gingen, in dem die eingespielten Laute zu hören waren. Wenn die Laute von einem Tier aus der eigenen Kolonie, kamen, antwortete der Nacktmull sofort. Stammten sie von einem Tier aus einer fremden Kolonie, blieb der Nager still. "Das ließ die Forschenden vermuten, dass die Tiere den eigenen Dialekt erkennen und nur auf diesen reagieren, sagt Barker.

Um die Theorie zu überprüfen kreierte Veviurko künstliche Laute. Diese beinhalteten zwar die spezifische Merkmale des jeweiligen Dialekts, ähnelten aber nicht der Stimme eines einzelnen Tieres. "Auch auf diese am Computer entwickelten Stimmen antworteten die Nacktmulle mit ihrem leisen Zwitschern", berichtet Barker. Das Experiment funktionierte selbst dann, wenn in der Kammer mit der vertrauten Mundart der Duft einer fremden Kolonie verströmt wurde. "Damit hatten wir den Nachweis erbracht, dass die Tiere spezifisch den eigenen Dialekt erkennen und positiv auf ihn reagieren", sagt Lewin.

Pflegekinder lernen den Dialekt der neuen Kolonie

In weiteren Experimenten setzten die Forscherinnen und Forscher insgesamt drei verwaiste Nacktmull-Welpen in eine fremde Kolonie, in der die Königin – die als Einzige im Nacktmull-Staat Nachwuchs bekommen darf – ebenfalls gerade geworfen hatte. "Dies gewährleistete, dass die Neuankömmlinge nicht angegriffen wurden", erklärt Barker. "Sechs Monate später konnten wir mithilfe unseres Computerprogramms zeigen, dass die Pflegekinder den Dialekt der Gast-Kolonie erfolgreich angenommen hatten."

Die neue Königin bestimmt den Dialekt

Dass die Königin im Nacktmull-Staat nicht nur für den Nachwuchs sorgt, sondern auch eine ganz entscheidende Rolle bei der Pflege der Mundart spielt, entdeckte das Team eher zufällig. "Eine unserer Kolonien verlor im Verlauf der Studie nacheinander zwei Königinnen", sagt Lewin. "Wir stellten fest, dass sich die Laute der anderen Nacktmulle des Staates in dieser Zeit der Anarchie viel mehr als sonst voneinander unterschieden, der gemeinsame Dialekt also viel weniger ausgeprägt war." Das habe sich erst wieder geändert, nachdem sich ein paar Monate später ein anderes, ranghohes Nacktmull-Weibchen als neue Königin etabliert habe.

Einblicke in das Wesen der menschlichen Kultur

"Menschen und Nacktmulle scheinen sich viel ähnlicher zu sein, als irgendjemand hätte ahnen können", lautet das Fazit von Lewin. "Nacktmulle verfügen über eine Sprachkultur, die sich entwickelt hat, lange bevor es den Menschen gab." Der nächste Schritt bestehe darin, herauszufinden, welche Mechanismen im Gehirn der Tiere eine solche Kultur unterstützen. "Denn das", so glaubt der MDC-Forscher, "könnte uns wichtige Einblicke auch in das Wesen der menschlichen Kultur liefern."

Wie Nacktmulle sprechen

Das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin (MDC ) stellt sich vor

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt. Eine Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen, zu diagnostizieren, zu verhüten und wirksam bekämpfen zu können.

Kooperationspartner sind: Die Charité, das Berlin Institute of Health (BIH), das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK).

Professor Gary Lewin ist der Leiter der Arbeitsgruppe "Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung" vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC).

Titelbild: Kommunikative Nacktmulle, Felix Petermann, MDC

MonikaHermeling, am 13.04.2023
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Bildquelle:
Sabine Kranich (In der Weihnachtsnacht können Tiere sprechen)
a.sansone (Wer ist das kleinste Nagetier der Welt?)

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