In den Diskussionen der Berufenen auf dem Gebiet der Neuen Musik – und wohl auch bei den Schwesternkünsten – trifft man immer wieder auf gewisse Themen, die gleichermaßen absurd wie unerschöpflich und somit im eigentlichen Sinne unnötig sind. Absurd sind sie, da die Streitenden in der Regel ihre eigene Position als die alleinig richtige, einzig plausible und die Gegenposition somit als von vorn herein ausgeschlossene ansehen, womit Ignoranz präjudiziert ist nicht nur  gegenüber dem Erwägen wirklicher Argumente sondern vor allem auch gegenüber der Möglichkeit, die Dinge einfach einmal zu sehen, wie sie sind, ohne sie ständig in wertende bzw. meistens eher abwertende Kategorien zu pressen. 

Absurd außerdem, weil diese Diskussionen jeglicher Bedeutung für die Praxis entbehren.

Unerschöpflich sind sie allemal, da man unter diesen Voraussetzungen natürlich ohnehin aneinander und an der Sache selbst vorbeiredet und da zudem diese Themen und alle Argumente hierzu – von den Verfechtern meistens als ach so brisant und heißglühend vorgetragen – in der Regel so alt sind wie die Historie ästhetischer Diskussion überhaupt.

Eines der amüsantesten Themen in diesem Zusammenhang ist der ständige, verzweifelte Ruf nach "Neuem", wie ihn die Avantgardisten jeglicher Zeit pflegen und pflegten und die ebenso einseitig argumentierende scheinbare Gegenposition der Verfechter eines "alleinig richtigen" traditionellen Handwerks.

Johann Sebastian Bach war dabei nicht der erste und Dmitri Schostakowitsch bei weitem nicht der letzte große Komponist, dem vorgeworfen wurde "altmodisch" zu sein, Cage nicht der einzige der bewies, dass man auch jenseits vorgefertigter Wege ernsthaft arbeiten kann....

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Wenn man sich nun zum Beispiel den bekannten Fall "Nono vs. Schostakowitsch" betrachtet, stellt man fest, wie lächerlich die oben beschriebenen einseitigen Denkweisen sind. 

Die Frage ist doch zunächst, was definiert man als "neu"? Ist beispielsweise die Musik jener neu, die sich für die Avantgarde halten und dabei heute noch arbeiten, als seien sie nie den Experimentierstuben der siebziger Jahre entwachsen und deren Werke auch so klingen? Ist nur das neu, was provoziert, nur die Musik, die jegliche Nähe zu organischer Fortsetzung von Gewachsenem zu meiden sucht, und dies – da es nun einmal nicht möglich ist – meistens durch Zerstörung ihrer eigenen Aussage? Oder ist das neu "komponiert" (also "zusammengestellt"), was eine wirklich eigene Sprache hat, etwas, dass uns neu bewegt? 

Den Verweis auf die Aufführungszahlen von Schostakowitsch und Nono, wie er von den eingeschworenen Traditionalisten gern vorgebracht wird,  halte ich in diesem Zusammenhang für ebenso irrig und nur angelegen, eine der beiden Positionen zu stärken, wie den Hinweis der Neuerer - Fraktion darauf, dass Schostakowitsch (wie schrecklich – man denke!) noch Jahrzehnte nach Sacre du Printemps auf tonaler Basis arbeitete. 

Zugegeben, sein "Material", seine "Formen" waren sicher nicht revolutionär, doch niemand kann bestreiten, dass seine Musik im eigentlichen Wortsinne neu war: denn wer außer ihm hat denn so komponiert wie er? Seine Musik erkennt man nach 3 Takten als Musik von Schostakowitsch und das beweist, dass er für sich und für uns eine wirklich neue Tonsprache, eine unverwechselbare Art zu komponieren gefunden hat. Und dies ist es doch, meine ich, was "neu" bedeutet: noch nicht dagewesen und somit unverwechselbar. 

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Die Schlachten über altes und neues Material sind letztlich Dinge, die am Wesentlichen vorbei gehen, da diese arbeitstechnischen Neuerungen sich dem Hörer oft gar nicht sinnfällig vermitteln, und wenn, dann häufig ohne dass daraus eine wirklich eigene, nicht-austauschbare und somit neue Sprache entstünde. Dies gelingt in beiden Lagern jeweils nur denen, die sich eben in ihrer Arbeit nicht von derartigen Äußerlichkeiten bestimmen lassen. 

Und Bach? – Seine Musik galt bekanntermaßen seinerzeit in gewissen Kreisen als hoffnungslos altmodisch – nun, ein Kommentar aus heutiger Sicht erübrigt sich. 

Ich möchte dabei jedoch keineswegs das Ausprobieren und Experimentieren auf dem Gebiet des Materials zurückweisen und – um Missverständnissen vorzubeugen – ich halte auch Nono für einen großartigen Komponisten. 

Das eigentliche Problem, gegen das ich mich mit Entschiedenheit wende ist jene kleinbürgerliche, isoliert intellektuelle und rechthaberische Denkweise, mit der nach wie vor zwischen Künstlern, die unterschiedliche Ansätze des Arbeitens haben, ein ziemlich lächerliches gegenseitiges Urteilen stattfindet, welches eben nicht wirklich auf dem Gehalt der Werke, auf deren Kraft, die Menschen zu bewegen basiert, sondern auf unwesentlichen Vordergründigkeiten. 

Und wenn ich sage "bewegen", meine ich damit das gesamte Erlebnisspektrum, dessen der Mensch  in Wechselbeziehung mit Kunst fähig ist, denn ich sehe keinen Grund dafür, warum es Rangunterschiede geben soll zwischen Erlebnissen,  die sich nur der Art nach voneinander unterscheiden, solange sie tatsächlich originär und authentisch sind und sich nicht in selbstgefälligen Materialspielereien einerseits oder gefühlsvergessenen Befindlichkeiten andererseits erschöpfen. 

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Übrigens erkennt man, bei genauer Betrachtung, ein sehr erheiterndes Paradoxon im Gebaren gewisser Streitender:

Jene, die sich berufen fühlen, für ständig Neues und den Fortschritt in der Musik zu sorgen, die alles mit Abscheu und Verachtung betrachten, was nicht provokant ist und auch nur einen Hauch Zugänglichkeit besitzt und jeden Verdacht auf breiten Erfolg schon kriminell finden (gleichzeitig aber über die Misere der Neuen Musik natürlich am lautesten klagen!) – nun, genau sie erfüllen mit ihrem Schrei nach "Neuem" geradezu die Hauptforderung des platten und oberflächlichen und zudem recht tradierten Kommerzialismus, den sie doch eigentlich so vehement ablehnen: Solange ihr wesentlichstes Qualitätsurteil sich darauf gründet, wie "neu" etwas ist und sie die Existenzberechtigung von Kunst an deren "Neuheitswert" festmachen, begeben sie sich auf das Argumentationsniveau der kommerziellen Werbekultur! 

 

Also bitte: Niemand sollte glauben, er sei der alleinige Hüter des heiligen Grals. Der Gral, wenn es ihn gibt, kann gut auf sich selbst aufpassen.

Letztlich kann es angesichts der Tatsache, dass wir seit vielen Jahrzehnten in einer in jeglicher Hinsicht pluralistischen Welt leben, in der die Gleichzeitigkeit ein wesentliches, wenn nicht gar das Grundphänomen darstellt, nur ein Fazit zum Thema geben: 

Der Ruf nach Neuem ist ein ziemlich alter Hut.

© C. René Hirschfeld

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