Nach der Flut 2013 - Was erwarten die Menschen nach dem Hochwasser 2013?

Mancherorts geht die Flut zurück, manche Orte bedroht sie immer noch. Wie auch immer es aussehen mag: In dieser ersten Woche des Juni 2013 brachen Dämme, brachen Gewohnheiten, brachen Sicherheiten. 

Sofort waren allerorts Helfer da. Manche beschämten durch ihre Hilfe, manche nervten und entledigten sich ihres Helfersyndroms. Und es kamen die Politiker. Und wenn mich mein Eindruck nicht trügt, waren es ausschließlich die Bürgermeister, die die richtigen Worte fanden zu der Frage: "Was tun?"

Die Frage ist recht einfach zu beantworten.

Was die Menschen nun brauchen, ist Geld. Viel Geld. Geld heilt keine Wunden, aber Geld macht die Schmerzen erträglich und lässt die Verletzungen auskurieren.

Hochwasser Juni 2013 Passau: am ...

Hochwasser Juni 2013 Passau: am Stauwehr Kachlet (Bild: alle Fotos: johannes flörsch)

"Wird scho" sagt Vasilios Preventis, der Wirt des Rhodos – das griechische Restaurant liegt am Nordende der Brunngasse in Passau, wo die Donau oft und sehr früh aus ihrem Bett tritt. Das kennt Vasilios, das ist, seltsames Wort: wohl nichts Ungewöhnliches.

Nichts mehr war zu sehen von dem Lokal, als die Flut am 3. Juni über die Terrasse strömte. Und was heute zu sehen ist, bietet kaum noch Aussicht, geschweige denn eine Perspektive. 

"Wird scho" – das wird schon wieder – flicht Vasilios zwischen seine auf Griechisch gemurmelten Sätze, und es mutet an wie Selbstberuhigung, es mutet an wie Trost für seine Frau und wie Aufmunterung für die vielen Helfer wie die 16-jährige Chrissie L.* Später erst wird sie spüren, wie fassungslos Vasilios ist und wie erschüttert. Wird scho? Da wird gar nichts mehr.

Wacht auf!

Nicht nur Griechenland braucht unsere Solidarität – dieser eine Grieche Vasilios ist es, der unsere Solidarität benötigt. Jetzt und sofort. Sonst ist er weg.

Was daran schlimm ist?

Wer geht, nimmt mit und lässt zurück. Zurück bleibt ein leeres Haus. Bleibt Wut. Bleibt Resignation. Zurück bleibt eine Wunde in der Stadt.

Worauf wollt ihr noch warten, ihr, die ihr glaubt und geschworen habt, zum Wohle des deutschen Volkes zu handeln? Was braucht es noch, um wach zu werden und zu handeln?

Was wird sein, wenn Vasilios aus seinem Schock erwacht, wenn der Schock, gleich der Flut, zurückweicht? Glaubt ihr, danach sei alles wie vorher? Hofft ihr auf die letzte der fünf Phasen? Darauf, dass Vasilios, und nun will ich endlich auch die übrigen Menschen nennen: Hofft ihr also darauf, dass die Opfer von Passau, von Deggendorf, Dresden und Bitterfeld ihr Schicksal akzeptieren nach dem anfänglichen Nicht-wahr-haben-Wollen, dem Zorn, dem Handeln mit dem Schicksal, der Depression? Dass sie, paralysiert wie Kaninchen, hinnehmen, dass ihre Existenz am Boden liegt?

Könnt ihr es, wollt ihr es hinnehmen, dass diese Menschen einfach aufgeben? Nur weil sie im Stich gelassen werden?

Der Inn am 3. Juni 2013

Der Inn am 3. Juni 2013

Ich fürchte, es wird anders kommen. Und ihr solltet euch ebenfalls im klaren sein, dass die Menschen solidarischer geworden sind, als es bis in eure Burgen und Sitzungssäle gedrungen sein mag.

Wenn die Menschen, die hier wohnen, ihr Leben führen, wenn sie mit dem Nachbarn reden, sich lieben und miteinander streiten, sich füreinander einsetzen und Gutes tun, wenn, kurzgesagt, all das, was Leben ausmacht, hinweggespült wird und dann noch ignoriert, obwohl jede Möglichkeit der Hilfe vorhanden wäre, wie würdet ihr an deren Stelle handeln?

Und es bewegt sie doch!

Was in Passau geschieht, geschieht (ich weiß es nicht genau, aber ich vermute es) in Dresden, in Bitterfeld, an der Saale, der Elbe, der Mulde und der Spree. Die Menschen erkannten sich. Erkannten im andern sich selbst. Erkannten, dass sie zerbrechlich sind, ihr Leben aus den Fugen geraten und im Niemandsland zwischen zwei Sekunden zerstört werden kann.

Und so kamen sie zusammen. Studenten rückten an, die professionellen Helfer vom Deutschen Roten Kreuz, von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk (THW), Nachbarn und Fremde. Durch die Wasser wurde zerstört, was uns allen gehört und uns alle angeht. Und was nur durch uns alle geheilt werden kann.

Hilfe für die vom Hochwasser Geschädigten - Hochwasser 2013: Rettungsringe statt Rettungsschirme

Ich fordere euch auf, die ihr mit Hubschraubern herbeidröhnt und nach zehn Minuten wieder in die Sitzungssäle verschwindet: Gebt das Geld frei, das ihr bereits habt! Setzt unser Geld, unsere Steuern für uns ein und für Vasilios, der das schöne Leben in Deutschland mitgestaltet.

Überweist keine 100 Millionen – überweist, was nötig ist! Vergesst für einen Moment in eurem Leben die Akten und dass ihr Krawatten tragen müsst, damit ihr ernst genommen werdet. Vergesst für einen Moment den Hindukusch und den Peloponnes. Tut das Richtige und tut es bei uns, in Passau, Deggendorf und Dresden. Und ihr werdet sehen, dass das Richtige auch gut ist.

Rechnet nicht damit, dass das Wasser abzieht und mit ihm die Erinnerung. Die Menschen standen auf dem Tahrir-Platz, sie stehen am Taksim-Platz, und sie werden einst an der Ortsspitze stehen oder am Residenzplatz, um sich zu sammeln. Sie warten auf klare Worte, und sie warten auf klare Taten. Hört den Menschen zu, deren Existenz hier am Ertrinken ist, und die die Nase voll haben von Rettungsschirmen, weil sie Rettungsringe brauchen.

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* Name geändert. Die Helferin bat darum, ihn nicht zu nennen.

jofl, am 08.06.2013
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